Aufrufe
vor 5 Jahren

Festspielzeit Sommer 2018

  • Text
  • Bregenzer
  • Oper
  • Beatrice
  • Musik
  • Festspiele
  • Karl
  • Larcher
  • Juli
  • Berthold
  • August
Das Magazin der Bregenzer Festspiele

Wie war der erste

Wie war der erste Eindruck von Berthold Goldschmidts Oper Beatrice Cenci? OPER IM FESTSPIELHAUS Gal James: Als Elisabeth Sobotka mich bat, mir diese Rolle anzuschauen und zu prüfen, ob sie etwas für mich wäre, war ich zunächst reserviert. Rein stimmlich betrachtet war sie definitiv für mich geeignet, aber Goldschmidts Musik wirkte auf mich fremd und eigenartig. Doch je mehr ich mich mit ihr beschäftigte, desto faszinierender empfand ich sie. Sie hat eine unglaubliche dramatische Kraft. Goldschmidt verarbeitet sehr unterschiedliche Stile, plötzlich klang sie für mich nach Alban Berg, dann wieder wie ein Musical und ich hörte Barbara Streisand singen … Ich fragte mich, ob ich zuerst ein anderes Stück angehört habe. Obwohl der Stil sehr gemischt ist, gibt es trotzdem einen großen Bogen. Die Oper fühlt sich homogen an und ist wirklich für Sängerinnen und Sänger geschrieben. Die erste Annäherung erfolgte also durch die Musik? Ja, unbedingt. Doch wirklichen Sinn ergab die Musik für mich erst, als ich mich mit dem Text und der Figur der Beatrice Cenci intensiver auseinandersetzte. Wie verändert die Tatsache, dass Beatrice wirklich gelebt hat, den Blick auf die Rolle? Besonders als Frau nehme ich die Rolle dadurch anders wahr. Zum Glück musste ich nie Erfahrungen wie sie machen. Ihr Vater ist sehr egoistisch. Es gibt so viele Frauen, die solche Situationen erlebt haben und heute noch erleben müssen. Insofern musste ich natürlich auch an aktuelle Diskussionen denken. Gal James als Marietta in Johannes Eraths Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt an der Oper Graz (2015) Die Oper hat ein trauriges, furchtbares Ende. Obwohl die Geschichte vor Jahrhunderten passiert ist, hat sie nichts an Brisanz verloren. Es ist hörbar, dass das Werk nicht im 16. Jahrhundert entstand, sondern im 19. beziehungsweise 20. Jahrhundert, wenn wir zwischen dem zugrunde liegenden Drama und der Oper unterscheiden. Welches Verhältnis zur Rolle der Beatrice hat sich im Lauf der Erarbeitung herausgebildet? Ich sehe sie nicht nur als Mörderin. Natürlich ist es Unrecht, was sie tut. Doch für sie ist es in dieser Zeit die einzige Möglichkeit zu überleben und so etwas wie Freiheit zu erlangen. Der Mord an Francesco Cenci ist nicht das Grausamste, was passiert. Was er den Menschen in seiner Umgebung antut, ist viel grausamer. Sie versucht, sich aus seiner Gewaltherrschaft zu befreien, aber es gelingt ihr nicht. Es ist kein spontaner Entschluss, ihn zu ermorden. Sie befindet sich ihr ganzes Leben in einem Ausnahmezustand. Anders als ihre Schwester schafft Beatrice es nicht, sich mittels eines Gesuchs an den Papst aus den Fängen ihres Vaters zu befreien, weil der Prälat Orsino das Schreiben nicht weiterreicht. Und dann ist er es, der ihrer Stiefmutter und ihr vorschlägt, Francesco zu ermorden. Gibt es für Beatrice überhaupt Menschen, denen sie vertrauen kann? Orsino ist für mich ein großes Fragezeichen. Als die beiden sich an ihren gemeinsamen Moment ein Jahr zuvor erinnern, spricht er davon, dass sie ihm ihre Liebe erklärt habe. Aber nur er sagt das. Ich weiß nicht, ob sie Männern wirklich so nahekommen kann, ob sie lieben kann, nach diesen schlechten Erfahrungen mit ihrem Vater. Als Orsino danach allein ist, sagt er, er werde das Gesuch an den Papst nicht weiterleiten, aber sie dennoch für sich gewinnen. Er gibt zu, dass er ihr eine Falle gestellt hat, und wartet nun auf seine sichere Beute. Es gibt wohl nur die Beziehung zu ihrem kleinen Bruder Bernardo, 8

zu dem sie aber wie zu einem Kind spricht. Sie möchte nicht, dass er erfährt, was wirklich passiert ist. Selbst wenn das zu weit führt, aber ich denke, die einzigen männlichen Wesen, die für sie eine positive Figur sein können, sind Kinder. Sobald sie erwachsene Männer sind, kann sie ihnen nicht mehr vertrauen. Welches Verhältnis hat sie zu ihrer Stiefmutter Lucrezia? Das scheint mir sehr interessant. Trotz des vermutlich geringen Altersunterschieds nennt Beatrice sie Mutter. Lucrezia hat wohl ähnliche Erfahrungen mit Francesco gemacht wie Beatrice. Doch sie hat ihren Einfluss und ihren Mut verloren. Während Beatrice sich auch noch im Gefängnis ihren Stolz bewahrt, hat Lucrezia längst aufgegeben. Im Gefängnis verabschiedet sich Beatrice mit einer sehr berührenden Arie von der Welt. Was geht in diesem Moment in ihr vor? Die Arie klingt wie ein Wiegenlied, Beatrice ist fast schon in einer anderen Welt. Für sie ist der Tod eine Befreiung. Es gibt einen kurzen Moment nach dem Tod ihres Vaters, in dem sie sagt, dass sie nun viel leichter atmen könne. Doch die einzige Lösung, die sie gefunden hat, hat nicht funktioniert. Fast ganz am Ende der Oper singt Beatrice die wichtige Zeile »Schlimmer als Tod ist Hoffen«. Das ist genau, was sie denkt. Sie hat beschlossen, dass weder sie noch sonst jemand mehr hoffen soll. Nach dem Tod kann vielleicht etwas anderes, etwas Besseres kommen. Daher ist diese Arie voller Schmerz, aber auch mit einer Leichtigkeit, denn es ist vorbei. Ist es eine hoffnungslose Oper? spielen, kann uns Hoffnung geben, nun gibt es andere Wege, um solchen Situationen zu entkommen. Leider aber nicht immer und nicht in allen Kulturen. Welche Rolle spielt Religion? Vertraut Beatrice auf Gott? Kann sie glauben, obwohl zu diesem Glauben das System ihres Vaters gehört, der mit der Kirche schreckliche Abmachungen trifft, durch die seine Schandtaten ungestraft bleiben? Das ist eine schwierige Frage, auch für mich persönlich. Religion spielt für mich persönlich keine Rolle, aber in Israel, wo ich aufgewachsen bin, sind Religion und Staat nicht voneinander zu trennen und unheilvoll miteinander verknüpft. Der Glaube ist in unserer DNA, auch bei Menschen, die nicht religiös sind. Man spürt überall die Macht und die Angst. Aber die Angst kommt nicht von Gott, sondern von Menschen, die Religion dazu benutzen, um ihre Macht und ihre Interessen durchzusetzen. Bis heute spielen Vaterfiguren eine große Rolle, auch politisch, seien es Präsidenten oder Minister. Beatrice brauchte sicher lange, bis sie ihren Vater auch in dieser Machtposition erkannt hat, weil sie es nicht anders kannte. Er war ein grausamer Vater. Es ist ein natürlicher Prozess, dass man mit der Zeit seine Eltern auch in anderem Licht sieht. Als Kind sind die eigenen Eltern die besten. Beatrice sieht am Ende, dass kein Mensch in direkter Verbindung zu Gott steht. Selbst Priester oder Rabbis können nicht direkt mit Gott sprechen. Am Ende des zweiten Aktes glaubt sie noch an eine übergeordnete Gerechtigkeit: »Gott ist überall bei den Gerechten und sein Schatten fällt wie ein Schutzgewand. Wir geben uns in seine Hände.« in Don Carlo ein oder ist sie etwas Besonderes? Sie ist sehr besonders. Sie ist gleichzeitig sehr weit von mir entfernt und sehr nah. Ich kann mich nur in wenigen Momenten mit Beatrice verbinden, dann aber sehr deutlich. Sie ist eine starke Figur, womit ich mich identifizieren kann. Aber ich sehe mich gar nicht in ihrer Situation. Mein Vater hat mich immer unterstützt und ich kann nur versuchen, mir vorzustellen, was es mit einem Menschen anstellt, wenn es nicht so ist. In jeder Oper, die ich singe, versuche ich etwas zu finden, woran ich persönlich anknüpfen kann. Ich liebe Mimì in Puccinis La Bohème, aber diese Rolle ist nicht so tief, so kompliziert – eine sehr einfache Figur. Es ist wichtig, Beatrices Geschichte zu erzählen. Es gibt so viele Aspekte, an die man anknüpfen kann: Religion, Psychologie, Missbrauch, Familienverhältnisse. Es ist eine besondere Rolle, schon in der Erarbeitung und noch vor dem szenischen Probenbeginn mit Johannes Erath. Der Aufwand dieser Rolle lohnt sich auch für wenige Vorstellungen, aber ich hoffe, dass sich andere Opernhäuser von dieser Musik begeistern lassen. GAL JAMES ist in Israel geboren und hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen auf den europäischen Opern- und Konzertbühnen gemacht. Dazu zählen die Opernhäusern Graz und Leipzig, die Dresdner Semperoper und die Wiener Staatsoper. OPER IM FESTSPIELHAUS BEATRICE CENCI Berthold Goldschmidt Premiere 18. Juli 2018 – 19.30 Uhr BEATRICE CENCI Für sie ja, denn sie stirbt. Für sie ist der einzige Ausweg der Tod, das ist absolut hoffnungslos. Für uns gibt es Hoffnung. Heute dieses Stück zu Fügt sich Beatrice in Ihre Opernrollen der vergangenen Jahre wie Elsa in Lohengrin, Rusalka, Elisabetta Vorstellungen 22. Juli – 11.00 Uhr 30. Juli – 19.30 Uhr | Festspielhaus 9

Unsere Dokumente für Sie:

© 2021 Bregenzer Festspiele