OPER IM FESTSPIELHAUS Als Mörder seiner Mutter und weiterer Familienmitglieder, als erster Christenverfolger und Erfinder grausamer Spiele, als Zerstörer Roms und verschwenderischer Bauherr, als wahnsinniger Künstler und dekadenter Tyrann, Paranoiker und zuletzt Feigling ging er in die Kulturgeschichte ein, lieferte Stoff für Opern von Monteverdi bis Mascagni. Als Anti-Christ und Verkörperung des Bösen erscheint er in den Märtyrerlegenden von Petrus und Paulus, in historischen Romanen und Filmen besingt er als wahnsinniger Künstler das Brandinferno der von ihm selbst angezündeten Stadt – und gerade, wenn das Ende einer Epoche heraufdämmert, hat er Hochkonjunktur: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also zur Zeit Arrigo Boitos, wird Nero in der Malerei und anderen Genres europaweit zu einem zentralen Sujet. Worin besteht die Faszination dieses Nero, und wer war er wirklich? Ganz wird sich diese Frage wohl nie beantworten lassen; genau das reizte die Künstler und Autoren seit der Spätantike zur Ausschmückung. Die Überlieferungen enthalten einen Rahmen von biografischen Fakten, die eine schillernde, widersprüchliche Figur suggerieren, die mit zunehmender historischer Distanz nach psychologischer Deutung geradezu verlangt. Wenn Künstler die Figur Nero interpretieren, erzählen sie von ihrer eigenen Zeit und deren Verhältnis zu Macht und Kunst. »Seine Gestalt war von fast mittlerer Mannesgröße, sein Körper mit Flecken bedeckt und übelriechend, das Haar hellblond, sein Gesicht mehr schöngebildet als anmutig, die Augen blau und sehr schwach, der Nacken übermäßig fett, der Bauch stark vortretend, die Schenkel überaus dünn, seine Gesundheit dauerhaft«, so berichtet Sueton. Seine Biografie ist das ausführlichste der überlieferten Zeugnisse und prägend für das Nero-Bild der Nachwelt – doch ist sie mit Vorsicht zu genießen. Wie Nero gerochen hat, kann Sueton nicht wissen, denn als er geboren wird, ist Nero schon zwei Jahre tot. Die römische Geschichtsschreibung nutzt zur Beschreibung von Tyrannen wiederkehrende Erzählmuster, die ein Narrativ ergeben – und viele solcher Stereotypen finden sich bei Sueton. Seine Sicht spiegelt jene der Patrizier wider, die im Senat vertreten sind und mit denen der jeweils amtierende Kaiser um Einfluss ringt. Sie ist also parteiisch, und ein Kaiser, der sich der Kontrolle des Senats widersetzt, hat schon von daher moralisch schlechte Karten. Die Detailfreude, mit der Sueton Gerüchte und Anekdoten kolportiert, hat mehr mit Boulevard-Presse zu tun als mit quellenkritischer und faktentreuer Geschichtswissenschaft. Fest steht, dass Neros Mutter Agrippina, die als ehrgeizig und skrupellos galt, durch ihre Heirat mit Kaiser Claudius nach ihrer 10
Verbannung aus Rom ihre Position in der kaiserlichen Familie zurückgewann; auf ihr Betreiben adoptierte der Kaiser den elfjährigen Nero, der so vor Claudius’ leiblichem Sohn in die Thronfolge rückt, und verheiratete den noch Jugendlichen mit seiner Tochter. Dass Agrippina beim Tod des Claudius ihre Hände im Spiel hatte, berichtet auch Tacitus, in dessen Annalen viele von Suetons pikanten Details und giftigen Nachreden keine Bestätigung finden; auch eine Beteiligung Neros am Tod Claudius’ oder dem seines jüngeren Stiefbruders Britannicus ist nicht bestätigt. Die Übernahme der Macht durch Nero vollzog sich ohne Komplikationen; unterstützt durch den amtierenden Prätorianerpräfekten, der als Befehlshaber der kaiserlichen Garde die Stellung des Kaisers entscheidend beeinflusste, und gut beraten durch seinen Lehrer Seneca stimmte Nero den Senat durch Ergebenheitsadressen günstig und gewann die Zustimmung des Volks durch Senkung des Brotpreises und anfangs kluge Regierung. Außenpolitisch weitgehend befriedet, prosperierend im Inneren, gelten die ersten fünf von Neros zehn Herrschaftsjahren als glücklich für Rom. Allerdings veranstaltete Nero Spiele, bei denen er Patrizier zusammen mit Gladiatoren und Freigelassenen auftreten ließ und auch selbst auftrat – für einen Kaiser ein skandalöses Verhalten –, und rief unter dem Namen »Neronia« einen Kunstwettstreit nach griechischem Vorbild ins Leben, der in Rom als untragbar galt, und absolvierte eine einjährige »Tournee« durch Griechenland, wo er bei Spielen auftrat. Hinter Suetons negativer Bewertung von Neros künstlerischen Ambitionen steckt auch ein Kulturkonflikt: die Ablehnung zunehmender hellenistischer oder kleinasiatischer Einflüsse durch das römische Patriziat. Neros Ruf ist schon lädiert, als 64 n. Chr. der große Brand Roms ausbricht. Suetons Schilderung, Nero habe auf einem Turm des Maecenas sitzend in die Flammen geblickt und den Brand Trojas besungen, hat unzählige Nacherzählungen inspiriert – und ist falsch. Beim Ausbruch des Feuers war Nero in Antium, und dass er den Brand habe legen lassen, ist wahrscheinlich üble Nachrede. Nero senkte den Getreidepreis, ließ die Ruinen abtragen und verfügte beim Wiederaufbau die Einhaltung von Mindestabständen. Dass er auch die Palastanlage großzügig ausbauen ließ, weckte Missgunst. Neid und böse Gerüchte vergifteten das Klima, und so ließ Nero die noch kleine Sekte der Christen als Sündenbock verfolgen und viele zum Tode verurteilen: Sie seien zwar allgemein verhasst gewesen, berichtet Tacitus, doch wurden die politisch motivierten Todesurteile kritisiert. Für die Märtyrertode von Petrus und Paulus, deren legendarische Überlieferung Nero den Ruf als Anti-Christ einbrachte, fehlt jeder Beleg, genauso von der sagenhaften Gottesprobe des Magiers Simon, dessen Identität historisch nicht gesichert ist. Doch die Bauten leerten die Kassen, Nero ließ Tempelschätze plündern, und je angespannter die Situation für ihn wurde, desto grausamer seine Herrschaft. Der nicht selbst verübte Mord an seiner Mutter Agrippina ist historisch belegt, ebenso zahlreiche befohlene Suizide in den Reihen politischer Gegner oder mutmaßlicher Verschwörer, zu denen auch Neros Lehrer Seneca zählte. Zuletzt unterschätzte Nero wie andere Kaiser vor und nach ihm die Gefahr, musste aus Rom fliehen und nahm sich im Angesicht seiner Verfolger das Leben. Was von ihm blieb, ist widersprüchlich: Zeugnisse von Weitsicht, Begeisterungsfähigkeit und Schönheitssinn ebenso wie von Verschwendung, Berichte von Milde und Vernunft ebenso wie von Morden, Grausamkeit und unkontrollierten (auch sexuellen) Leidenschaften. Freilich hat es wenig Sinn, Nero an unseren Maßstäben für Regierung zu messen: Die Unterwerfung persönlicher Begierden unter eine übergeordnete Ethik und die Beschränkung der kaiserlichen Macht durch die Institution des Senats sind zentrale Themen jener Zeit – eben weil beides nicht die Regel war: Ohne Kontrollinstanzen, ohne Aufteilung der Befugnisse neigen Alleinherrscher aller Zeiten dazu, in ihrer Machtausübung Maß und Ziel zu verlieren, und mit der Zahl ihrer Gegner wächst ihre Paranoia und gebiert neue Grausamkeit – vom alten Rom bis heute. Dass Nero die Fantasien der Künstler mehr beflügelt hat als andere Tyrannen, liegt auch daran: Er war einer von ihnen. OPER IM FESTSPIELHAUS NERO Arrigo Boito Tragödie in vier Akten (1924) | Libretto vom Komponisten | In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Premiere 21. Juli 2021 – 19.30 Uhr Vorstellungen 25. Juli – 11.00 Uhr 2. August – 19.30 Uhr | Festspielhaus NERO 11
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