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Festspielzeit Frühling 2021

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

AUF DEN SPUREN VON

AUF DEN SPUREN VON BRIGANTIUM bis 30 Jahre später die Wirtschaft am Ostufer des Bodensees blühte. Ich würde ihn als tragischen Herrscher bezeichnen, denn dass man ihn nur als Wahnsinnigen hingestellt hat, ist einem veralteten Geschichtsblick geschuldet. Das in Quo Vadis filmisch festgehaltene Bild von Nero wird wissenschaftlich sehr kritisch betrachtet. Seine kaiserlichen Nachfolger waren erpicht darauf, sich von den Vorgängern abzusetzen, was die historisch verzerrte Wahrnehmung förderte. Nero ließ in Anlehnung an die Olympiaden zwei Mal eine »Neronia« ausrichten, mit Wettkämpfen in den Bereichen Sport, Dichtkunst, Musik und Gesang und zeigte sich somit dem klassisch griechischen Weltbild verhaftet. Es war ja generell so: Die Römer übernahmen die Theaterkultur von den Griechen. Wie sah das gallorömische Theater von Brigantium aus? Erinnert es an Epidauros, an Theateranlagen auf Sizilien oder in Südfrankreich? Die Römer nützten wie die Griechen Hanglagen, wo sie ohne größere Erdbewegungen die Cavea, den Zuschauerraum, aufsteigend errichten konnten. Größere Städte konnten sich auch den Bau frei stehender Theater leisten. Die wesentlichen Elemente wie Cavea und die Spieloder Tanzfläche, genannt Orchestra, existierten auch im gallorömischen Theater. Doch anstelle eines Bühnengebäudes bildete die umgebende Landschaft die Kulisse. Die in Bregenz gefundenen Radialmauern besagen, dass das Theater einen Durchmesser von ungefähr 50 Metern hatte. Das lässt sich einerseits mit technischen Hilfsmitteln berechnen, andererseits floss schon damals im Süden der Anlage der Thalbach vorbei und begrenzte das Gelände. Das Theater fasste an die 2.000 Personen, genau das übliche Drittel oder Viertel mehr als die Bevölkerungszahl der zugehörigen Siedlung: In Brigantium lebten 100 n. Chr. ungefähr 1.600 Personen. Als kostengünstiges Baumaterial bot sich in dieser Gegend Holz an, doch es empfahl sich bei dieser Größenordnung, den aus Holz konstruierten Zuschauerraum auf steinerne Sockelmauern zu stellen, um die Lebensdauer des Theaters zu verlängern. In weiterführenden 14 Am Hang des heutigen Deuringschlössles in der Bregenzer Oberstadt versammelten sich die Menschen vor fast 2.000 Jahren zum Theaterbesuch. Forschungen würde uns die Steilheit der Zuschauerränge interessieren, denn: Je steiler die Reihen, desto besser war die Akustik. Kämpften Gladiatoren in Bregenz? Das wird wahrscheinlich nur wenige Male der Fall gewesen sein und an einem anderen Ort in Brigantium. Die Forschungsgeschichte ist annähernd 150 Jahre alt: Samuel Jenny sei genannt, Carl von Schwerzenbach, Adolf Hild und Elmar Vonbank vom Landesmuseum, heute vorarlberg museum. Seit den 1980er-Jahren wissen wir, dass es nahe des City-Tunnels ein Amphitheater gab, doch aktuell haben wir dazu mehr Fragen als Antworten. Dort könnten Tierhetzen und Gladiatorenkämpfe stattgefunden haben. Was wurde im Theater am Thalbach aufgeführt? Die Spiele waren kultische Ereignisse und fanden zu Ehren der Götter statt, ursprünglich sogar, weil man Seuchen überstanden hatte. Die Aufführungszeiten waren kurz und

Voller Vorfreude intensiv, sie betrugen sieben bis zehn Tage und fanden drei bis vier Mal im Jahr statt. Als Schauspieler wirkten Laiendarsteller, die von Angehörigen religiös tätiger Gruppen für die Spiele engagiert worden waren. Wer das Theater gestiftet hat und wer für Renovierungen zuständig war, wissen wir leider nicht. Müsste nicht in der Nähe des Theaters ein Tempel gestanden haben, wie wir es aus dem Mittelmeerraum kennen? Tatsächlich war im römischen Gebiet der axiale Bezug eines Theaters zu einem Kultgebäude charakteristisch. Am Fuße eines Hanges steht ein Theater und oberhalb des Theaters ein Tempel. Geht man von diesem typischen Modell aus, wäre unter dem heutigen Deuringschlössle ein Tempel zu suchen. Aber die gallorömischen Theater orientierten sich in diesem Zusammenhang wenig an den italienischen Vorbildern, manchmal wurde axial gegenüber der Cavea ein Tempel errichtet. Wahrscheinlich konnte man vom Theater Brigantiums aus freien Auges auf den See hinausschauen und abends den Sonnenuntergang genießen. Ein Tempel, von dem wir nicht wissen, welchen Göttern er geweiht war, stand nahe dem heutigen Bundesgymnasium Blumenstraße. Zudem gab es bei der heutigen Landesbibliothek einen Weihebezirk. Wer besuchte vor knapp 2.000 Jahren das naturverbundene Freilufttheater? Jeder, der noch laufen konnte. Ob Brigantium Stadtrechte hatte oder nicht, ist noch ungeklärt, aber es war auf alle Fälle der einzige stadtähnliche Zentralort der Region. Wer im Bodenseeraum Theater erleben wollte, musste nach Brigantium kommen. KARL OBERHOFER studierte Klassische Archäo- logie sowie Alte Geschichte und Altertumskunde in Innsbruck. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Archäologischen Instituts der Universität zu Köln ist er Experte für die römischen Provinzen. Sein aktuelles Forschungsprojekt widmet sich dem Forum und der Siedlungsstruktur von Brigantium. Rom steht in Flammen, und Nero singt. Der Kaiser zählt zu den berüchtigtsten Herrschern der Antike. Doch war er wirklich dieser selbstverliebte, grausame Wahnsinnige? Nach dem Mord an seiner Mutter plagten ihn Gewissensbisse. Dabei war er selbst ein Opfer ihrer blindwütigen Herrschsucht. Nero förderte die Künste, die Wissenschaft und das Theater. Wie passen Feingeist und Intrige zusammen? Wie so oft hat die Wahrheit viele Gesichter. Aber selbst wenn wir versuchten, alle Facetten von Nero zu durchleuchten – am Ende bliebe nur die Gewissheit vom Kreislauf des Lebens: In jedem Untergang steckt ein Neubeginn. In jedem zitternden Frühling verbirgt sich ein Hauch von sommerlicher Leichtigkeit. So entstanden 1946 aus den Trümmern der Vergangenheit die Bregenzer Festspiele. 75 Jahre Kultur am Bodensee! Nach einem Jahr Pause kommt Rigoletto wieder auf die Seebühne, genau 170 Jahre nach der Uraufführung in Venedig. Voller Vorfreude genießen wir einen Kaffee. So intensiv wie nie. Dallmayr wünscht Ihnen eine wunderbare Festspielzeit! PARTNER DER BREGENZER FESTSPIELE 15

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