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Festspielzeit Frühling 2022

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

OPER IM FESTSPIELHAUS

OPER IM FESTSPIELHAUS Francesco Cilea, Umberto Giordano und Pietro Mascagni traten mit ihrer Musik den zu ihrer Zeit vorherrschenden französischen und deutschen Dramen kraftvoll entgegen. Giordanos Siberia wurde in der Spielzeit 1903/04 an der legendären Mailänder Scala uraufgeführt, ebenso wie Giacomo Puccinis Madame Butterfly. der gerade aus Sibirien zurückgekehrt war und zahlreiche Fotografien mitgebracht hatte, war ebenfalls ein wichtiger Garant für die authentische Vergegenwärtigung Sibiriens. Weitere Berichte – so zum kirchlichen Osterritual in Russland – verhalfen dazu, Handlung und Szene realistisch zu fundieren. Schließlich beschäftigte sich Giordano intensiv mit russischer Volks- und Kunstmusik, um von hier aus eine realistische Verankerung des Sujets in einem russischen Tonfall der Musik zu betreiben. Peter Tschaikowskis Ouvertüre 1812 bildete in diesem Kontext eine zentrale Inspirationsquelle. Die intensive Beschäftigung mit der Kunst und Kultur Russlands findet ihren konsequenten Niederschlag in der Partitur, bleibt der Oper nicht äußerlich, sondern dringt bis in ihr Innerstes vor. Im ersten Akt verweist Giordano mit der »Canzone di mugiki« (»Lied der russischen Bauern«) des Männerchors, die zu Beginn aus der Ferne erklingt, und dem Zitat der russischen Kaiserhymne auf die Herkunft der »Bella Orientale« Stephana. Im zweiten Akt – an der Grenze der Hungersteppe, auf dem Weg von Omsk nach Kolywan situiert – wird der Rekurs auf die russische Sprechweise intensiviert, wenn etwa das Orchestervorspiel in düsteren orchestralen Farben die endlose Weite der sibirischen Landschaft nachzeichnet oder in den Chorpassagen der Bauern und Händler und insbesondere mit dem Zitat des leitmotivisch verwendeten Lieds der Wolga-Schlepper Ej uchnjem Melos und Rhythmik russischer Musik adaptiert werden. Der dritte Akt – im Inneren des »Hauses der Stärke« in den Minen des Trans-Baikal – entwirft das Bild eines Straf- und Gefangenenlagers, in dessen Zentrum die Osterzeremonie mit dem Chorgesang »Cristo è risorto« steht. Streichertremoli, Glocken, Trompeten und Tamburin auf der Bühne vergegenwärtigen die verklärte, feierlich-besinnliche Stimmung der hereinbrechenden Osternacht; begleitet von einem Balalaika-Orchester feiern die Gefangenen des Straflagers das Osterfest – szenisch wie musikalisch am griechisch-orthodoxen Osterritual orientiert. Dass schließlich auch die Arien und Duette von Stephana und Vassili, die in ihrer lyrisch-emphatischen Geste als gleichsam exterritoriale Felder fungieren, durch Gestaltungselemente russischer Musik charakterisiert sind, trägt zur musikdramaturgisch schlüssigen Gesamtkonzeption von Siberia bei. Die Entstehung ebenso wie die Umstände der Uraufführung von Giordanos Siberia sind einigermaßen verwickelt. Während Giordanos Verleger Edoardo Sonzogno bereits am 26. März 1900 einen Vertrag mit Luigi Illica abschloss, in dem festgehalten wurde, dass Illica innerhalb von sechs Monaten ein Libretto abliefern solle, und Giordano sich verpflichtete, die Partitur in 20 Monaten fertigzustellen, zog sich die Ausarbeitung der Oper bis in den Herbst 1903 hin – begleitet von einem regen Briefwechsel zwischen Librettist und Komponist, der dokumentiert, wie intensiv beide um die finale Konzeption der Oper ringen mussten. Das mag einer der Gründe sein, warum die vertraglichen Angelegenheiten zur Uraufführung erst sehr spät fixiert wurden: Am 9. Mai 1903 unterzeichneten Edoardo Sonzogno und Giulio Gatti Casazza, der Generaldirektor des Teatro alla Scala, den Vertrag zur Uraufführung von Siberia für die Saison 1903|04. Dieser späte Zeitpunkt der Einigung lässt indes auch einen anderen Grund vermuten, der weniger mit Giordano als mit dem 14

Komponistenkollegen Giacomo Puccini zusammenhing. Der passionierte Autofahrer Puccini hatte am 23. Februar 1903 einen schweren Autounfall, der ihn zwang, die Arbeit an seiner neuen Oper Madame Butterfly für mehrere Monate zu unterbrechen. Am 13. Mai 1903 schrieb er desillusioniert: »Addio tutto, addio Butterfly, addio vita mia«. Und am 3. September 1903 notierte er angesichts eines bevorstehenden Besuchs seines Verlegers Tito Ricordi: »Es scheint um meine Butterfly an der Scala zu gehen. Sie wird – wenn überhaupt – in die zweite Hälfte der Spielzeit wandern, aber das ärgert mich: Ich möchte nicht, dass irgendwer glaubt, ich würde mir mit Giordano ein Wettrennen liefern. Aber wahrscheinlich wird es so kommen: Er macht den Anfang, ich das Ende.« Die ursprünglich für die Eröffnung der Saison geplante Uraufführung von Madame Butterfly war nicht mehr zu halten. Siberia trat an die Stelle von Puccinis Oper, deren Uraufführung auf den 17. Februar 1904 verschoben wurde, so dass – zum ersten Mal in der Geschichte des Teatro alla Scala – in einer Saison zwei Opern zur Uraufführung gelangten. Die Premiere von Siberia am 19. Dezember 1903 war ein großer Erfolg, diejenige von Madame Butterfly ein Desaster. Das mag in der antijapanischen Stimmung nach dem Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges am 8. Februar 1904 begründet gewesen sein. Vielleicht war es aber ein gut vorbereiteter und von Parteigängern der beiden rivalisierenden Mailänder Verlagshäuser Ricordi und Sonzogno geschürter Skandal. Wenige Tage nach der Uraufführung von Madame Butterfly stand in der Hauszeitschrift des Ricordi-Verlags »Musica e musicisti« – ohne Angabe der Autorenschaft, aber Giulio Ricordi zugeschrieben – zu lesen, dass »alle Japaner Puccinis« von den Russen hinweggefegt worden seien; ein klarer Hinweis auf die im Konkurrenzverlag Sonzogno veröffentlichte Storia russa Siberia von Umberto Giordano. Giacomo Puccini unterzog Madame Butterfly nach dem Uraufführungsskandal einem umfassenden Überarbeitungsprozess; heute zählt die Oper zu den populärsten Werken des Komponisten. Umberto Giordanos Siberia wurde in den ersten Jahren nach der Uraufführung zwar international an zahlreichen Häusern präsentiert, konnte aber die Popularität von Andrea Chénier nie erlangen, obwohl die Partitur mit dem Variantenreichtum der vokalen Linie, der differenzierten Instrumentation und der fortschrittlichen Harmonik einen avancierten Stand des Komponierens bietet. Und dass es Giordano gelungen ist, das russische Idiom als musikalische Vergegenwärtigung von Szene und Handlung bruchlos in sein Komponieren zu integrieren, markiert fraglos die Singularität von Siberia im Kontext des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 20. Jahrhunderts. OPER IM FESTSPIELHAUS SIBIRIEN Umberto Giordano Tragödie in drei Akten (1903) | Libretto von Luigi Illica | In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Premiere 21. Juli 2022 – 19.30 Uhr Vorstellungen 24. Juli – 11.00 Uhr 1. August – 19.30 Uhr | Festspielhaus Koproduktion mit dem Theater Bonn SIBIRIEN 15

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