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Festspielzeit Frühling 2022

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

BURGTHEATER ZU GAST

BURGTHEATER ZU GAST 20

DER ZERFALL VON SEELENWELTEN ÜBER SARTRES GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT UND DIE LANGJÄHRIGE ERFOLGSGESCHICHTE VON SCHAUSPIELER TOBIAS MORETTI MIT DEM REGISSEUR MARTIN KUŠEJ GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT Stellen Sie sich vor, nach dem Tod ginge das Leben noch irgendwie weiter. Jedoch nicht, wie Sie es vielleicht entlang christlicher Vorstellungen erwarten würden, in einer Art ewiger Verzückung vor dem Gesang himmlischer Heerscharen; auch nicht im Gegenteil, zwischen Feuern, glühenden Eisen und den Schreien der ewig gefolterten Sünderinnen und Sünder. Nein, dieses Leben nach dem Tod ist anders, es ist zäh, gleichförmig, ohne jede Abwechslung, nicht einmal die Augen kann man hier schließen, das Licht brennt ohne Unterlass, Schlaf gibt es keinen, es ist stickig und warm, keine Fenster, keine Spiegel. Sie sind an diesem Ort jedoch nicht allein, sondern diese ewige Wohngemeinschaft besteht aus insgesamt drei Untoten, die für immer eine höllische Dreiecksbeziehung führen werden, eine Ménage-à-trois, die voller Missgunst, Eifersucht und Demütigung ist. Kein Ende abzusehen, keine Erlösung, kein Ausweg. Das ist die Grundsituation von Jean-Paul Sartres berühmtem Klassiker des Existenzialismus, Geschlossene Gesellschaft. Aber was ist das für eine merkwürdige Erfindung, diese Hölle des Eingesperrtseins und der quälenden Gleichförmigkeit, die der populärste Philosoph des 20. Jahrhunderts da gemacht hat – im Jahr 1944, als er in nur wenigen Wochen während der letzten Tage der deutschen Besetzung Frankreichs den Einakter in einem Rutsch herunterschrieb? Wollte er die bedrückende Atmosphäre im durch die Nazis unterjochten Paris veranschaulichen? Wollte er sich unterschwellig lustig machen über die groteske und brutale Bürokratie, mit der das Vichy-Regime die französischen Bürgerinnen und Bürger einsperrte und drangsalierte? Stimmt sicherlich beides. Aber es ging Sartre um mehr, nämlich um nichts weniger als den Kern seiner Philosophie; darum nämlich, was das Leben eigentlich ausmacht und wie man sich darin moralisch angemessen verhalten kann. »Man glaube nicht, dass das Problem des Todes mich interessiert: Es ist das Problem des Lebens von der Seite des Todes aus gesehen,« sagte Sartre im Hinblick auf seine Vorliebe für untote Figuren. Was er damit meinte, kann man an Geschlossene Gesellschaft anschaulich erklären. Denn die Menschen in dieser höllischen 3er-Wohngemeinschaft haben in ihrer ewigen und eingeschlossenen Gegenwart so wenig zu erleben, dass sie ganz Erinnerung werden: Und da liegt es nun, abgeschlossen, ihr Leben, unabänderbar: Keine Entscheidung, keine Aktion ist widerrufbar, im Leben gibt es kein Umtauschrecht. Das ist die Marter, die die Figuren in diesem Stück ertragen müssen. Da ist Inès (Dörte Lyssewski), Postbeamtin, die ihre Geliebte so lange manipuliert und aufgerieben hatte, bis diese nachts den Gashahn aufgedreht hat. Und Estelle (Regina Fritsch), die ungewollt schwanger geworden war und dann vor den 21

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