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Festspielzeit Frühling 2022

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

Augen ihres Geliebten

Augen ihres Geliebten die gemeinsame Tochter in den See warf. Und schließlich noch Garcin (Tobias Moretti), Revolutionär, Schriftsteller, Journalist, der sich genau in jenem Augenblick, als er Mut für seine gute Sache hätte beweisen müssen, wenig heldenhaft verhalten hat – und sich darüber hinaus schuldig gemacht hat, indem er seine Ehefrau über Jahre gequält und betrogen hat. BURGTHEATER ZU GAST »Du bist nichts andres als dein Leben«, sagt Inès im Stück. Was du gewollt hast, was du eigentlich gemeint hast, spielt keine Rolle. Sartres radikaler Gedanke bestand darin, die Menschen an ihren Taten zu messen. Und so besteht die Qual für die drei Sünderinnen Inès, Estelle und Garcin darin, auf ihr Leben zurückzublicken und dabei permanent erkennen zu müssen, dass sie gescheitert sind, dass sie ihren eigenen Idealen nicht gerecht geworden sind. Was bedeutet das alles nun für uns, für die Lebenden, die wir noch nicht tot sind? Vielleicht Folgendes: jede Entscheidung, vor der wir stehen, so zu treffen, dass sie aus der Perspektive der Toten, die wir einmal sein werden, gutzuheißen und wertzuschätzen sein wird. Tobias Moretti spielt in der Inszenierung des Wiener Burgtheaters in der Regie von Martin Kušej den gescheiterten Revolutionär Joseph Garcin. Für den Tiroler Schauspieler ist es bereits die fünfte Zusammenarbeit mit dem Direktor des Burgtheaters. Moretti ist seit Beginn von Kušejs Intendanz wieder festes Ensemblemitglied am Burgtheater. Von 2017 bis 2020 war er in der Rolle des Jedermann bei den Salzburger Festspielen zu sehen, im Fernsehen zuletzt in der großen Beethoven-Verfilmung Louis van Beethoven. Moretti resümiert die Zusammenarbeit mit Kušej, die 2005 am Burgtheater mit der legendären Insze- 22

»MARTIN KUŠEJ SCHONT WEDER SICH NOCH ANDERE. DAS SIND DIE HERAUSFORDERUNGEN, DIE ICH SUCHE, WENN ICH THEATER MACHE.« TOBIAS MORETTI nierung von Franz Grillparzers König Ottokars Glück und Ende begann: »Alle Figuren, die ich in seiner Regie erarbeitet habe, waren sehr verschieden. Wenn man jedoch genau hinschaut, entdeckt man aber eine Kontinuität, eine gewisse Ähnlichkeit in der Psychologie. Zunächst sind die Figuren linear und klar, aber dann kommt ein Haarriss ins Spiel und man erlebt einen radikalen Zerfall der Seelenwelt. Es sind alles sehr männliche Figuren gewesen, die irgendwann zerfallen!« Auf König Ottokar folgte 2008 die Figur des jungen Grenzgängers in Karl Schönherrs Weibsteufel, mit der das Burgtheater zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. 2011 dann spielte Moretti den Hofreiter in Arthur Schnitzlers Das weite Land, die Antrittsinszenierung Martin Kušejs am Münchner Residenztheater. 2015 schließlich erarbeitete das Künstlerduo beim Festival in Aix-en-Provence in einer kontroversen Inszenierung Mozarts Oper Die Entführung aus dem Serail, Moretti in der Sprechrolle des Bassa Selim. Und nun, sieben Jahre später, findet diese fruchtbare Partnerschaft ihren vorläufigen Höhepunkt in der Sartre-Inszenierung, die nun auch bei den Bregenzer Festspielen zu sehen sein wird. Moretti begibt sich als Garcin tief in die sartresche Hölle der Gleichförmigkeit und des stickigen Psychoterrors. »Ich recherchiere leidenschaftlich gern im Vorfeld zu den Figuren«, erklärt Moretti. »Und obwohl ich für diese Rolle nur sehr wenig Zeit hatte – insgesamt haben wir die Inszenierung in vier Wochen erarbeitet –, habe ich versucht, der Figur des Garcin tief auf den Grund zu kommen. Martin Kušej schont weder sich noch andere, mit ihm kann man die Figuren und die Stücke einerseits mit einer intellektuellen Klarheit sezieren, andererseits gibt es da ein radikales Bauchgefühl bei ihm, ein Gespür für den Zeitgeist, wie er Figuren und Geschichten in die Mitte einer Gegenwart stellt. Diese Leidenschaft steckt an. Und deshalb habe ich mich auf das Abenteuer eingelassen, trotz der kurzen Probenzeit, in dieses tolle Ensemble einzuspringen. Das sind die Herausforderungen, die ich suche, wenn ich Theater mache.« Sartres Geschlossene Gesellschaft entstammt einer anderen Epoche, einem anderen Zeitgeist, einem Europa im flächendeckenden Krieg. Und doch spürt man in dieser Inszenierung, dass der Text bis heute zu uns spricht, gerade in Zeiten der Pandemie und eines Krieges im Osten des Kontinents, den kaum jemand noch für möglich gehalten hätte. Kunst stellt Fragen, so schonungslos, wie es nur geht. Moretti fasst seine Arbeit mit Kušej noch einmal zusammen: »Kunst beinhaltet keine Lösung, in gar keinem Sinne, auch nicht in einem humanistischen. Kunst muss dich mit dem Rücken an die Wand klatschen, dass du aus deiner Komfortzone hinauskommst.« Diese Konsequenz im Leben hätte Sartre vermutlich gutgeheißen. BURGTHEATER ZU GAST GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT Jean-Paul Sartre Deutsch von Traugott König Premiere 16. April 2022 – 19.30 Uhr Vorstellung 17. April – 16.00 Uhr | Festspielhaus Gastspiel des Burgtheater Wien GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT 23

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