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Festspielzeit Frühling 2023

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OPER IM

OPER IM FESTSPIELHAUSEnde März feiert Moritz EggertsOperette Die letzte Verschwörungin einer Inszenierung vonIhnen an der Volksoper Wien ihreUraufführung. Sie stecken gerademitten in den Proben. Können Sieeigentlich gerade an Ernani denken?Lotte de Beer: Als Opernregisseurinmuss man die Liebe immer überganz viele Kinder verteilen, das binich so gewohnt und das mag ichauch. Es war schon so, als ich nochein Kind war: Ich habe immer gernviele Bücher gleichzeitig gelesen,weil eines allein mich sonst gelangweilthätte. Ich habe sie immerabwechselnd zur Hand genommen.Das Gleiche mache ich auch jetzt,wenn ich an meine kommenden szenischenProduktionen denke. Wennich nun meine Gedanken zu Ernanischweifen lasse, so empfinde ichzuallererst ein herrliches Gefühl.Ich bin nur zuständig für die Produktionund nicht auch gleichzeitig fürdas ganze Haus. Das ist in gewisserWeise ein Luxus. Ernani ist aberauch ein Wunschkind von mir, eineOper, die ich und auch die FestspielintendantinElisabeth Sobotkaschon lange auf dem Wunschzettelhatten. Ich gebe zu, dass ich eineLiebesbeziehung zu Verdi habe,auch zu seinen frühen Opern. Verdikann stets mit musikalischen Mittelneine menschliche Situation soherausvergrößern, dass sie ihrenpersönlichen Charakter behält –und gleichzeitig geht es aber immerauch um die ganze Menschheit.Das finde ich an dem Genre Operüberhaupt so toll.Ernani ist eine sehr unbekannteund ziemlich selten gespielte Oper.Wie ist es zu einem Ihrer Wunschkindergeworden?Ich habe das Libretto gelesen undgedacht: Was für eine unglaublichmerkwürdige und imperfekte Geschichte.Ich liebe unvollkommeneGeschichten, weil sie am bestendie Unvollkommenheit des Lebenswiderspiegeln. Mich fasziniert andieser Oper, dass man Menschensieht, die die ganze Zeit über Ehre,Liebe, Freundschaft und Gastfreundschaft,also immer über hoheIdeale sprechen und gleichzeitigdrohen sie mit Selbstmord, Duellen,Rache und Blutvergießen. Das findeich so typisch an uns Menschen:Wir wollen immer etwas Besseres,als wir schaffen können. Hinzukommt die Musik: Verdis Partiturhat unglaublich schöne Momente,aber auch stets diesen typischenBelcanto-Rhythmus, der etwasbuffoneskes hat, auch und vor allemin den grausamen Szenen. Die Opererinnert mich manchmal an SamuelBeckett und das absurde Theater.Sein bekanntestes Werk ist Wartenauf Godot, ein Clownsstück überdie Sinnlosigkeit der menschlichenExistenz. Dieses Thema finde ichin einer Variante auch bei Ernaniwieder: Es geht in dieser Oper umdie totale Unfähigkeit von unsMenschen zusammenzuleben.Das wird aber auf eine so unterhaltsameBuffoweise erzählt, dasswir auch über uns lachen können.Das mag ich an Ernani.Die weibliche Hauptpartie, Elvira,wird von drei Männern unterschiedlichenAlters begehrt und immerwieder in ihrer emanzipatorischenKraft unterdrückt …Ich sehe da kein feministischesMotiv. Elvira ist den anderen Figurenganz ähnlich. Das Erste, wassie singt, ist: »Wenn ihr nicht macht,was ich will, dann bringe ich michum.« Ganz ähnlich äußert sichauch Ernani: »Wenn ihr mir nichthelft, so bin ich für immer verloren!«Das alles ist sehr komisch überzeichnetund zugleich extrem archaisch.Es hat mit Blutvergießen zu tun.Deshalb starten wir auch in unsererProduktion auf der nackten Erde,wo verschiedene Menschlein leben,Menschlein à la Beckett. Einer vonihnen ist Ernani und der sagt: »MeinHerz ist gebrochen, ich suche nachElvira.« Für ihn wird dann als einAkt kulturellen Handelns ein weißesPodest aus Papier gebaut, um seineHeldenhaftigkeit auszudrücken.Im zweiten Bild ersetzt ein weißesZimmer das provisorische Podest,ein Zimmer aus Papier, das zerrissenwerden kann. Im dritten Bildsind es schließlich große Säulenaus Pappe, Luftschlösser, die dieKulturen schaffen, wobei wir stetsglauben, dass wir das Richtige tun.Wir wollen idealistisch sein, mit Gottleben, einen Wertekodex befolgen,aber man sieht immer die Unvollkommenheit.Nehmen wir nur diezentrale Szene im zweiten Bild desersten Aktes, wo drei Männer inElviras Schlafzimmer auftauchen,ein besonders witziger Moment:König Carlo bedrängt Elvira, sieweist ihn zurück mit der Drohung,sich umzubringen. Es kommt zueiner kleinen Verfolgungsjagd, eheErnani das Schlafzimmer betritt undihn zum Duell herausfordert, wasElvira wiederum zu verhindern weiß.Als Letzter kommt der Elvira eigentlichzugedachte Silva, der sich vongleich zwei Nebenbuhlern betrogenfühlt und auf die Knie fällt, als er denKönig erkennt.Sie erwähnen Papier als zentralesMaterial in Ihrer Produktion.Wir sehen eine Menschheit wie beiBeckett, die sich eine Kultur aufbaut,Zimmer, Paläste, Wände,die sich auch über ihre ärmlichenKlamotten mit Papier Schilder undHarnische bastelt. Doch diese Kulturwird sofort zerstört. Der Vorteilbei einem Papierkostüm ist, dassman sich einerseits als Soldat oderJungfrau fühlen kann und andererseitskann es zerrissen und mit Blutbeschmiert werden. Wir können sodie zerstörerische Kraft des Menschenzeigen. Etwas zu zerstören istviel stärker als etwas aufzubauen.Im zweiten Akt reden Ernani undSilva ständig über Wahrheit, Todund Zerstörung statt über das Lebenoder über die Liebe.Am Ende begeht Ernani Suizid …… und ganz viele Personen sterbenschon in der Szene davor. Carlo lässt10

LOTTE DE BEER studierte erst Gesang, Klavier und Schauspiel, später Regiean der Hochschule der Künste in Amsterdam. Nach ihrem Abschluss machtesie sich schnell einen Namen in der europäischen Musiktheaterlandschaft,2022 wurde sie bei den International Opera Awards für die beste Regie ausgezeichnet.Seit 2022 ist sie Direktorin der Wiener Volksoper.ERNANIdie adeligen Verschwörer umbringen,erst nach unendlichen Totenbegnadigt er auf Fürsprache vonElvira die übrigen, darunter auchErnani und Silva. Das reine weißeKulturbühnenbild ist getränkt vonBlut und so endet auch die Oper:mit einer blutgetränkten Erde.Duell geht. Auf dieser Welle mussman mitsurfen, ohne zu sagen, wirnehmen diese Dinge nicht ernst.Sie wollen sich ja töten.Die Musik hat immer recht, hatauch Enrique Mazzola, der Dirigentder Produktion, immer recht?etwas trinken oder einen Spaziergangmachen. Das vermisse ich indieser hektischen Welt, wo jedeMinute sinnvoll benutzt werdenmuss. Einfach sich in einer entspanntenSituation austauschen,das bringt die Kunst weiter!Wie passt das zusammen, eineSlapstick-Ästhetik und knallharterSplatter?Für mich sind das zwei Seiten dergleichen Medaille. Komödien mussman spielen wie Tragödien und Tragödienwie Komödien. Bei Ernani binich mir noch nicht sicher, ob es einekomisch komponierte Tragödie odereine Komödie mit sehr tragischenElementen ist. Es steht genau aufder Schnittstelle und deshalb findeich es so gut. Es hat eine hoffnungsloseBotschaft, aber die Musik unddie Szene sind beste Unterhaltung.Das zieht mich an. Aber Blut ist Blutund Tod ist Tod. Das Überdrehteist im Stück drinnen, man muss eseigentlich nur akzentuieren. Wennman eine realistische Darstellungsweisesucht, so steckt man schnellfest, denn die Musik mit ihrenlustigen Elementen hat immer recht,auch wenn es um Tod, Mord undKein Prozess ist gut, wenn Musikoder Szene allein den Ton angibt.Es ist eine Heirat und dabei muss esein Gleichgewicht geben. Enriquekennt aber diese Musik sehr gut undich werde gut auf ihn hören, wenn erwas erklärt.Sie waren schon einmal in Bregenzund kommen nun wieder zurück.Worauf freuen Sie sich am meisten?Die Bregenzer Festspiele sind wieein Sommercamp für erwachseneKünstler:innen. Man kommt ausBregenz schlecht weg, deshalbbleiben die Meisten während derProbenzeit vor Ort und sind nichtnoch irgendwo anders in der Weltunterwegs. Deshalb hat man diesefantastische Konzentration. DieLeute wollen proben und gleichzeitigkann man auch miteinanderschwimmen gehen, gemeinsam11OPER IM FESTSPIELHAUSERNANIGiuseppe VerdiMusikalische LeitungEnrique MazzolaInsze nie rung Lotte de BeerBühne | Kostüme Christof HetzerPrager Philharmonischer ChorBühnenmusik in Kooperationmit der Stella VorarlbergPrivathochschule für MusikWiener SymphonikerPREMIERE19. Juli 2023 – 19.30 UhrWEITERE VORSTELLUNGEN23. Juli – 11.00 Uhr31. Juli – 19.30 UhrFestspielhaus | Großer Saal

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