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Festspielzeit Frühling 2023

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BURGTHEATER ZU

BURGTHEATER ZU GASTDreimal Fritsch, eine klare Handschrift: Der Freischütz am Opernhaus Zürich (oben), Salome am Theater Basel (unten)und Der fliegende Holländer an der Komischen Oper Berlin (S. 14).16

Theater ist nicht die Unterabteilungder Literaturwissenschaft oderangewandte Textinterpretation. InHerberts Kosmos kommt einiges zusammenund in diesem Verständnisgehe ich meinen Teil der Arbeit an.Ziemlich zu Beginn unserer Zusammenarbeitstanden Herbert undich gemeinsam – nur wir beide – aufder Bühne. ANGST – ein performativesKonzert über den schlechtestenBerater unserer Zeit war HerbertsInszenierung, ich habe meine Textegeschrieben und versucht, durch denAbend zu führen, Herbert hat sichlediglich an Szenenüberschriften orientiertund seinen Text jeden Abendneu entwickelt. Im Tagesspiegel(24. November 2007) stand, es werdeeine »Internationale der Phobien«beschworen. »Sabrina Zwach moderiertmit Hasenzähnen eine 90-minütigeZitter-Party, die hemmungslosassoziativ und radikal selbstreflexivdie Angst des Schauspielers vordem Verschwinden beleuchtet.«Das Ganze sei: »Erschreckend gut«.Unmittelbar habe ich – in 60 Vorstellungen– die Intuition, das Wissenüber das Existieren auf der Bühne,das Herbert Fritsch hat, zu spürenbekommen, und ein anderes, neuesVerständnis von Text erfahren.Der Schreibprozess an und fürsich ist immer ähnlich und nichterzählenswert. Er ist einsam, vongroßer Freude und Glückseligkeitgeprägt, von Verzweiflung, Motivationslöchernund am Ende vonZeitdruck, weil eine Deadline mitirgendeiner Partei – dem Theateroder einem Verlag – vereinbartwurde. Das Besondere am Schreibenfür die Inszenierungen von HerbertFritsch ist, dass es durch ihn keinerleiBeschränkungen oder Vorgabenim Denken gibt. Die meist historischenTexte bleiben historisch, esfinden keine Modernisierungenstatt, es werden keine tagespolitischenBezüge eingefügt, und dochwerden die Texte verändert. Spurenwerden beseitigt, die den Text zueindeutig – in Ort, Zeit oder Lesbarkeit– machen. Die historischenStoffe werden vorsichtig aufpoliert,verkehrstauglich gemacht oder etwasbeschleunigt. Figuren verschwindenoder kommen dazu. Herbert liestmeine Fassungen oft nicht vor demProbenstart. Er lässt sich überraschen.So oder so ähnlich beschreibter diesen Vorgang zumindest. Fürmeine Bearbeitung und Übersetzungvon William Shakespeares Macbetham Neuen Theater in Halle 2010 gabes dazu ein Interview:Zwach: Also, warum machst du Macbeth?Fritsch: Die Frage stelle ich mir nie.Ein Stück ist eine Spielregel. DieSchauspieler:innen stehen auf demSpielfeld und spielen nach dem jeweiligenRegelwerk und dann kommtetwas raus, was vorher nicht imStück stand. Das ist doch völlig egal,welches Stück ich mache, aber beiMacbeth gibt es eine hohe Zahl vonBuchstaben und Wörtern, die micheinfach treffen, fertig! Und deineÜbersetzung habe ich mir bei derLeseprobe vorlesen lassen und ander Art, wie die Schauspieler:innenes gelesen haben, wusste ich, dassder Text gut ist und mich treffenwird. Bei einem anderen Ensemblehätte mich dein Text vielleicht überhauptnicht gejuckt!Meine Schreibweise für HerbertFritschs Inszenierungen ist außerdemgeprägt von dem Wissen, dassein Ensemble den Text sprechen,singen und tanzen wird. HerbertFritschs Inszenierungen sindEnsemblearbeiten, sind schauspielerisch-artistischeHochleistungen,huldigen der Schauspielkunst, sindimmer Musiktheater, manchmalauch Ballette. Sie sind bunt und oftkomisch. Wenn Personen Komischeserfinden, werden sie oft nicht ernstgenommen, weil Ernst und Komik alsGegensatzpaar gelten. Die Überschriftender Kritiken lauten dannauch: »Kinder, ist das lustig«, oder»Ein Sack voller Knallfrösche« oder»Action Acting und Apfelsaft« oder»Irre ins Unbekannte starren«. DerText als solcher oder die Fassungenwerden oft genauso betrachtet.Meines Erachtens muss man keinernstes Gesicht machen, um ernst zusein, und macht einen Fehler, indemman das Komische bagatellisiert.Für das Theater Basel durfte ichdas Libretto von Dmitri SchostakowitschsDie Nase nach Nikolai Gogolfür Herberts Inszenierung 2022bearbeiten. Erstmals war die Naseeine Frau. Einfach weil es »Die Nase«heißt und weil ich es im Verlauf derHandlung lustig fand, dass ein Mannseine Nase verliert, die sich verselbständigtund als weibliche Nasen-Figur wieder auftaucht und ihm dasLeben schwer macht. Hubert Wildinterpretierte die Nase als weiblichgelesene Figur. Der für mich großeund aufregende Umbau blieb weitestgehendunbemerkt. Das gehörteben auch zum Schreibprozess, dassman sich allein freut und die Arbeitunsichtbar ist.Kommen wir also zurück zu den18 Jahren; wenn unsere Arbeit einWhiskey wäre, dann wäre er schottischund torfig und womöglich wäreein bisschen Zuckercouleur darin.Wenn unsere Arbeit das 18-jährigeKind wäre, dann wäre es viel herumgekommenund hätte einen Glaubenssatzkonsequent gehört: Kunstist die Lösung all deiner Probleme.SABRINA ZWACH studierte Kultur-wissenschaften und ästhetischePraxis. Sie arbeitete als leitendeDramaturgin des Zürcher TheaterSpektakel und übernahm von 2008bis 2011 die Leitung der Presse-und Öffentlichkeitsarbeit der Volksbühneam Rosa-Luxemburg-Platzin Berlin. Sie arbeitet als freieDramaturgin, Autorin und Produzentinfür Regisseur:innen wie HerbertFritsch, Angela Richter und ErsanMondtag, Antú Romero Nunes,Robert Borgmann, Anne Lenk undMateja Koležnik. Ab der Spielzeit2017|2018 arbeitete SabrinaZwach als Dramaturgin am BerlinerEnsemble, bis 2021 am Burgtheater.DIE GEFESSELTE PHANTASIE17

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