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Festspielzeit Sommer 2015

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

MEIN SPIEL AUF DEM SEE

MEIN SPIEL AUF DEM SEE PUCCINI von Helmut Krausser 12

Als ich fünfzehn Jahre alt war, hatte ich mit Oper noch sehr wenig zu tun. Das alles kam mir vor wie unerträgliches Geschrei. Der Zufall wollte es, dass meine Eltern in Verona Urlaub machten und mein Vater mir anbot, mich irgendwie in die laufende Aufführung der Turandot hineinzuschleusen. Denn anders als klassische Musik interessierte mich römische Architektur durchaus. Mein Vater schleuste mich also an den Türstehern vorbei, indem er tat, als hätte ich die laufende Vorstellung nur für eine kurze Frist verlassen. Vielleicht war der Türsteher gutgläubig, vielleicht auch einfach nur gutmütig. So kam es, dass ich den dritten Akt der Oper Turandot zu Gesicht und zu Gehör bekam. Das änderte alles. Bis heute ist sie eine meiner Lieblingsopern, die ich wohl schon an die fünfzig Mal gesehen habe. Sie ist wie kaum eine andere Oper geeignet, Kinder und Neulinge mit der Droge Oper zu infizieren, jedenfalls viel mehr als irgendeine Zauberflöte oder Lucia di Lammermoor. Aber nicht nur Puccinis Musik hat mein Leben verändert, auch der Meister selbst. Fasziniert von seinem Leben und seiner Persönlichkeit habe ich ihm bis dato drei Bücher gewidmet. Unter anderem eine Biographie seiner zehn bewegtesten Jahre, die zwar der besseren Verkäuflichkeit wegen in Romanform erschienen ist, aber dennoch ernst zu nehmen ist und viel zur Forschung beigetragen hat. Durch aberwitziges Glück gelang es mir dabei, ein bis dato für unlösbar gehaltenes Rätsel der Musikgeschichte zu lösen, nämlich die Identität der Puccini-Geliebten »Corinna«, alias Maria Anna Coriasco. Die Recherchen zu diesem Buch haben zehn Jahre gedauert und viel Geld gekostet, aber wenig mehr im Leben hat mir ähnlichen Spaß bereitet. Turandot ist eine großartige und für mich Puccinis weitaus beste Oper. Am Ende seines Lebens hat er hier nochmal eine völlig neue Tonsprache gefunden, was angesichts seiner Lebensumstände eigentlich unglaublich ist. Denn oft lamentierte er in Briefen darüber, wie ihn die Kunst eigentlich, wörtlich, »anekelt« (»schifo mi fa«). Oft lässt er sich darüber aus, dass er sich hier und da ein paar Noten abquält, aber ansonsten eigentlich keine Lust mehr auf den ganzen Zinnober hat. Zwei Frauen hat Puccini in dieser Oper ein Denkmal gesetzt. Aber während oft erwähnt wird, dass die Figur der Liù seinem ehemaligen Dienstmädchen Doria Manfredi nachempfunden ist, jenem tragischen Mädchen, das Selbstmord beging, nur um der (unbegründeten) Eifersucht Elviras zu entgehen, ist Turandot selbstverständlich von Elvira selbst inspiriert, dieser manchmal fürchterlichen Frau, die dennoch Puccinis Liebe seines Lebens genannt werden muss. Warum das so war, kann man in Zwei ungleiche Rivalen nachlesen, wo nicht nur das Leben seines weit unterschätzten Konkurrenten Alberto Franchetti, sondern auch die Frühzeit des Meisters selbst beleuchtet wird. Noch etwas zur Turandot: Ich habe sowohl in Rom als auch Dresden Aufführungen erlebt, in denen nach dem Trauergesang für Liù Schluss war. Ich glaube nicht, dass Puccini dem zugestimmt hätte. Das Ende der Oper ist zwar nur in Skizzen vorhanden, aus denen Franco Alfano aber ein prachtvolles Finale zusammengezimmert hat. Nachweislich hat Puccini den Schluss der Oper drei Menschen am Klavier vorgespielt. Er wusste also schon ziemlich genau über den Verlauf Bescheid. Das Tragische: Hätte Puccini darauf verzichtet, seinen Tumor im Kehlkopf behandeln zu lassen, er hätte laut Meinung spezialisierter Ärzte wohl noch zwei Jahre länger leben und Turandot von eigener Hand vollenden können. Aber ich bleibe dabei: Die Vervollständigung durch Franco Alfano (wobei genau genommen fast keine melodische Wendung von Alfano stammt) ist ein oft unterschätztes Meisterwerk, und ich persönlich denke, Puccinis eigener Schluss hätte wenig anders geklungen, ja hätte kaum anders klingen können. Diesen Schluss wegzulassen wäre Betrug am Publikum. Allenfalls kann man überlegen, ob man die usprüngliche lange Alfano-Version der heute meistens gespielten viel kürzeren vorzieht oder diese beiden Versionen verbindet, wie es nun bei den Bregenzer Festspielen zu erleben ist. HELMUT KRAUSSER, geboren 1964, ist Romancier, Lyriker, Dramatiker und Komponist. Er lebt in Potsdam. Vier seiner Bücher wurden verfilmt. Sein Roman »Die kleinen Gärten des Maestro Puccini« ist im Shop der Bregenzer Festspiele erhältlich. MEIN PUCCINI 13

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