GERD ALFONS SSchauen wir in die Glaskugel: Sie spazieren zur nächstjährigen Festspielsaison am Turandot-Bühnenbild vorbei. Was geht in Ihnen vor? Gerd Alfons: Ich habe die Hoffnung, meine neue Rolle angenommen zu haben. Ich bin dann begeisterter Zuschauer, nicht mehr verantwortlicher Technikdirektor. Das hatte ich in den letzten Jahren geübt, bei dem einen oder anderen Projekt einfach gelassen als Quasi-Außenstehender zuzuschauen. Mein Rollenwechsel wird so oder so stattfinden. Also versuche ich, dies anzunehmen und zu unterstützen. Dann fällt es leichter. Welche Gefühle dann aber tatsächlich aufkommen, wage ich nicht vorherzusagen. Mit der Turandot-Premiere beenden Sie Ihre Karriere als Technikdirektor. Sieht man Sie trotzdem im Festspielgelände? Nein, direkt am Tag nach der Eröffnung packe ich meine Koffer. Mit meiner Frau gehts sechs Wochen lang durch Großbritannien. Wir machen Bed&Breakfast, leben in den Tag hinein. Und natürlich möchte ich mein Englisch verbessern. Sie sehen mich also frühestens im Folgejahr als Zuschauer wieder. Ich brauche diesen Abstand und sicher auch die Ablenkung, das gebe ich offen zu. Das braucht auch der Betrieb. Sie sind der Prototyp eines Theaterfreaks. So kann man nur geboren werden. Eigentlich wollte ich im Alter von 20 Jahren nicht nur Techniker sein, sondern von Wirtschaft etwas lernen und überlegte sogar, Steuerberater zu werden. Doch dann kam das Theater wie eine Droge über mich. Damals habe ich mir vorgenommen: Ich tue das, was ich gut kann und was mir und anderen Freude bereitet. Das ist die kürzeste Definition von Theater für mich. Meine Schwächen kannte ich, auch das ist wichtig. Und die wären? Na ja, vor allem die Sprache, genau genommen Fremdsprachen und dort im Konkreten die englische Sprache – obwohl mein Vater Englischlehrer war. In dieser Hinsicht war er nicht besonders stolz auf mich, sonst schon. Es folgte ein Studium. »Wenn das Publikum heute nicht klatscht, muss ich kündigen.« Die Kombination von Theater und Wirtschaftswissenschaften lagen mir seit einer Sommermitarbeit bei den Bayreuther Festspielen am Herzen. Genau darauf habe ich dann auch mein Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien ausgerichtet. Meiner Diplomarbeit zur Wirtschaftlichkeit von Theatern ging sogar ein universitärer Senatsbeschluss voraus, der es mir ausnahmsweise erlaubte, über sogenannte Non-Profit-Organisationen zu schreiben. Aus meiner Sicht einer der unglücklichsten Begriffe der Betriebswirtschaftslehre. Gerade subventionierte Betriebe sollten enorm wirtschaftlich arbeiten, eben weil sie öffentliches Geld erhalten. Mein Ziel war immer, für Künstler und Veranstalter Freiräume durch gute Organisation und zeitgerechte Aufbereitung für Entscheidungen zu schaffen und mit den vorhandenen 34 Ressourcen ein möglichst schönes Erlebnis für die Besucher. Überkommene Strukturen haben Sie noch nie begeistert. Zur Planung des neuen Tonsystems Bregenz Open Acoustics (BOA) saßen wir in Frankfurt mit Spezialisten zusammen. Es gab ein kompliziertes Problem zu lösen, es ging um einige Millionen Euro. Wir zerbrachen uns bis Mitternacht den Kopf, Hunger kam auf. Um Zeit zu sparen, bestellte ich für das Team ein paar Pizzas im Karton. Jahre später warf mir der Rechnungshof diese Bestellung vor, ich hätte beauftragte Firmen nicht einladen dürfen. Wohlgemerkt: Pro Person sprechen wir von zirka acht bis neun Euro. Diese Kritik empfand ich als absurden bürokratischen Irrsinn, weil mein Vorgehen betriebswirtschaftlich absolut sinnvoll war. Ich habe erreicht, dass der Rechnungshof das Thema fallen ließ. In Bayreuth haben Sie nicht nur Ihre Ehefrau kennen gelernt und den Grundstock für Ihre Karriere gelegt, sondern auch ein Faible für Tiere entwickelt. (lacht) Ja, die Wagner-Festspiele haben mich nicht nur technisch geprägt. Ich konnte sogar Bühnenerfahrung sammeln und als Tod beim Tannhäuser von Götz Friedrich 1972 auftreten oder eben als Wurm und Bär im Ring des Nibelungen. Das Technikpersonal bekam dort kleinere Statistenaufgaben. Eine unglaubliche Erfahrung, als junger Mensch am „Grünen Hügel“ auf der Bühne stehen zu dürfen. Das half auch, mehr Einblicke ins künstlerische Geschehen zu erhalten. Sollte eigentlich jeder einmal gemacht haben, der am Theater arbeitet. Ihre Festspielzeit ist von Kontinuität und Innovation gekennzeichnet, nach außen hin scheint alles machbar und planbar. Wie sah es im Innern aus? Manchmal völlig umgekehrt. Alles war meist langwierig und oft hart
erarbeitet. Im Vorlauf zur Porgy and Bess-Premiere 1997 hatte ich eine Art Blitz-Burnout. Als das Bühnenmodell vermeintlich in einem anderen Maßstab abgegeben wurde, wies ich mehrfach darauf hin, hatte aber den Eindruck, dass ich meine Botschaft nicht über die Rampe kriege. Kurz vor einem Zusammenbruch versuchte ich noch während der Premierenfeier der Hausoper Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch 1995, die Künstler zu überzeugen, den Entwurf zu verändern. Wenige Tage danach zog ich die Reißleine und bat um eine Auszeit. Mein Arzt wies mich ins Sanatorium ein. Einige Tage später gings wieder besser. In dem Job wird man schnell aufgerieben zwischen künstlerischem Anspruch, technischer Machbarkeit und finanziellen Grenzen. Wie hält man das durch? Den Job habe ich nur aus einem einzigen, einfachen Grund so lange ausgehalten: Weil ich ihn machen wollte, und nur diesen. Das ist meines. Mein Spielzeug. Empfinden Sie Dankbarkeit? Die Unternehmung ist in schwierigen Situationen zu mir gestanden, als es einfacher und populistischer gewesen wäre, gegen mich zu sein. Das habe ich geschätzt. Ich wünsche mir, dass dies eine Kerntugend des Festivals bleibt. Gibt’s ein Alfons-Erfolgsrezept? Wenn ich etwas tue, dann mache ich es zu meiner Sache. Denn: Mache niemals etwas dauerhaft, wenn Du es nicht gerne machst! Und wenn es doch einmal weniger Freude macht, dann suche ich mir einen Grund, wieso ich es dennoch mögen könnte. Mindestens 45 Prozent meiner Tätigkeit müssen mir Spaß machen, sonst muss ich mir was Anderes suchen. Gibt es einen besonderen Moment der vergangenen Jahre, an den Sie sich erinnern? Jedes Jahr die Premieren. Es hat mich immer unglaublich stark berührt, wenn die erste Vorstellung gut über die Bühne gegangen ist. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich für einen Nicht-Theatermenschen – geballt, intensiv, überwältigend. Das meine ich nicht nur in technischer Hinsicht, sondern weil es eine immense Teamleistung ist. Theater ist Mannschaftssport par excellence. Künstler, Techniker, Verwaltung, Catering – alle haben ein Ziel im Auge: eine hervorragende Premiere. Dabei kann man trotz noch so guter Vorbereitung auch Pech haben. 50 Prozent ist Glück, ob man will oder nicht. Sie hatten die Festspiele nur kurze Zeit nach Ihrem Amtsantritt wieder verlassen wollen, sagt man. 1985 bei der ersten Zauberflöten- Premiere war ich mir sicher: Wenn das Publikum heute nicht klatscht, dann muss ich kündigen oder man kündigt mir. Wir hatten das Budget überzogen, um in eine neue künstlerische Dimension vorzudringen. Es war eine aufregende Pionierzeit mit unklaren Zuständigkeiten und technischen Forderungen, die eigentlich weder erfüllbar noch finanzierbar waren. Ich bin gerannt und gerannt und kam dennoch nicht von der Stelle. Im April 1985 habe ich kurzfristig die Festspiele verlassen. Das war kein Taktieren, ich wollte wirklich weg. Nachmittags um drei hatte ich gekündigt, abends um 18:00 Uhr kam eine Anfrage aus Graz. Was hat sich seither verändert? Der Sommer 1985 stellt aus meiner Sicht nicht nur den künstlerischen Neuanfang dar, sondern auch den Startpunkt einer technischen Neukonzeption, die erst zehn Jahre später mit Fidelio (1995/96) abgeschlossen war. Betriebsinterne Abläufe, Ausschreibungen, Personalmanagement, Sicherheitsrelevantes, Arbeitszeit – all das haben wir neu definiert und nach und nach zu Standards entwickelt, die jeder heute DER TECHNIKDIREKTOR IM GESPRÄCH Würden Sie Dinge heute anders tun, wenn Sie nochmals diesen Berufsweg einschlagen würden? In der Rückschau ist man meistens schlauer. Ich wäre manches Unterfangen gelassener angegangen und hätte manchmal mein persönliches Umfeld weniger stark belastet – privat wie beruflich. Und damit möchte ich ausdrücklich meiner Frau danken, die selbst Theaterprofi ist und unser Privatleben organisiert hat. Sie hat zu mir gehalten, wo andere vielleicht schon hingeworfen hätten. In jeder Hinsicht Baustelle: Mit dem Spiel auf dem See »Die Zauberflöte« 1985 setzen die Bregenzer Festspiele künstlerisch und technisch neue Maßstäbe. 35
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