OPER IM FESTSPIELHAUS EIN BLICK AUS DER FAMILIE Nach ersten großen Erfolgen in Deutschland wurde die gerade beginnende Karriere von Berthold Goldschmidt (Beatrice Cenci) durch die Nationalsozialisten jäh zerstört. Der jüdische Komponist floh nach England, wo er bis zu seinem Tod 1996 in London lebte. Nicholas Rose, Enkel seiner Lebensgefährtin Margot, über einen großen künstlerischen Geist und eine Familie als stetes Publikum
Als langjähriger Begleiter meiner Großmutter Margot Rosenkranz, die ich fast jedes Wochenende sah, war Berthold Goldschmidt eine feste Größe in meinem Leben. Er füllte die Rolle eines Großvaters weder aus noch strebte er sie an; sich mit Kindern auf deren Niveau zu unterhalten, war für ihn nicht selbstverständlich. Es war mein Vater Stephen – dem er in allem außer der Bezeichnung ein Stiefvater war –, dem er sich für den nötigen intellektuellen Stimulus zuwandte. Aber Berthold war im Hintergrund immer anwesend, mit seinem begeisterten, beinahe wissenschaftlichen Interesse an Margots Enkeln und deren Entwicklung. Wir, ihre Familie, waren eine notwendige Ablenkung und ein Publikum für Berthold, besonders in der dunkelsten Periode seines Lebens in den 1970er-Jahren, als er und seine Kompositionen von der Musikwelt komplett ignoriert wurden und er von persönlichen Problemen geplagt war. Als Kind unternahm ich mit Margot und Berthold lange Spaziergänge durch Londons Park Hampstead Heath, wo er es liebte, sein umfangreiches Wissen über die Flora und Fauna zur Schau zu stellen. Darauf folgten Kaffee und Kuchen im Louis, einem nahe gelegenen Café, weitgehend für mitteleuropäische Kundschaft. Anders als die meisten Geflohenen aus Nazi-Deutschland bestand Berthold darauf, in seiner Wahlheimat nur Englisch zu sprechen. Sein Blick wurde zornig, wenn Margot in einem Gespräch auch nur ein unnötiges Wort auf Deutsch erwähnt hätte. (Wie genoss sie die Gelegenheit, in ihrer Muttersprache zu reden, wenn er nicht zugegen war!) Weit Berthold Goldschmidt mit seiner Partnerin Margot und Familie. Rechts hinten: Nicholas Rose. voneinander entfernt in Interessen, Temperament und intellektueller Neugier, zogen sich bei ihnen wirklich die Gegensätze an. Die tiefe Liebe, die sie füreinander empfanden, war berührend anzusehen und entscheidend, um Bertholds künstlerischen Geist am Leben zu erhalten, wie er in seiner Widmung zu Beatrice Cenci anerkannte. Berthold und ich waren uns in den letzten Jahren seines Lebens am nächsten, als das Alter ihn abgeklärter gemacht hatte und ich alt genug war, um seine Weisheit und tiefe Menschlichkeit voll zu schätzen. Seit der Wiederentdeckung seiner Musik in den 1980er-Jahren und seiner Erhebung in den Status eines »elder statesman« wurde er zu neuem Leben und einer kreativen Energie erweckt. Obwohl er so prinzipientreu wie gewohnt blieb, war sein Verhalten weniger streng und es gab nun ein Funkeln in seinen Augen. Und endlich konnten wir auf einem erwachsenen Niveau über Musik sprechen; was er zu sagen hatte, war selbstverständlich faszinierend und äußerst anregend. Es bleibt das Bedauern, dass ich als Kind nicht stärker von seinen Einblicken profitieren konnte. 11 Nach Margots plötzlichem Tod im Jahr 1993, der ihn am Boden zerstört zurückließ, brauchte er mehr als je zuvor ein Publikum. Er bestand darauf, uns die neuesten Aufnahmen seiner Werke vorzuspielen (in strikten Konzertsaalbedingungen ohne Geräusch und Gezappel, auch nicht von meinen kleinen Kindern). Und nie kam er ohne eine gefüllte Tasche mit ausgeschnittenen Zeitungsbeiträgen wie Interviews, die er gegeben hatte, oder Konzertkritiken von seiner Musik – Fehler wie immer rot angestrichen. Aber es war herzerwärmend, Berthold jeden Moment seines noch andauernden Lebens genießen zu sehen, und ich bin stolz darauf, Zeuge gewesen zu sein, wie sein langes und unausgeglichenes Leben auf einer triumphalen hohen Note endete. NICHOLAS ROSE wuchs in London auf. Seine Eltern waren in den 1930er-Jahren aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigriert. Im Finanzgewerbe tätig, spielt Musik in seinem Leben eine bedeutende Rolle. Er ist Vater von zwei erwachsenen Kindern. BEATRICE CENCI
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