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Festspielzeit Sommer 2019

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

WERKSTATTBÜHNE »WIE

WERKSTATTBÜHNE »WIE EIN HAMSTER IM RAD« ERKENNTNIS DURCH WIEDERHOLUNG 24

sich. Sie reden, nähern sich einander. Sie haben Sex. Sie reden wieder und gehen auseinander. Und so weiter – zehn Begegnungen, zehn Episoden von fast identischem Aufbau: Das ist die Handlung von Arthur Schnitzlers Reigen. 1897 schrieb der Autor, der parallel zu Sigmund Freuds Entwicklung der Psychoanalyse mit literarischen Mitteln die verborgenen, unterdrückten Triebe und Ängste der Fin-de-Siècle-Gesellschaft aufspürte, in einem Brief: »Geschrieben hab' ich den ganzen Winter über nichts als eine Szenenreihe, die vollkommen undruckbar ist, literarisch auch nicht viel heißt, aber nach ein Bühnenaufführung 1921 in Wien einen Theaterskandal. »Auf diese Art der Aktualität können wir heute auch wieder hinweisen«, kommentiert Bernhard Lang trocken. Mehr noch als die Gesellschaftsanalyse interessierte den Komponisten die Struktur des Stücks, das – wie der Titel schon impliziert – als Endlosschleife angelegt ist. Das Ende ist der Anfang, an dem die Geschichten wieder von vorne beginnen. Technik der »differenten Wiederholung« nennt Bernhard Lang das kompositorische Verfahren, das DER REIGEN Ende Juli präsentieren die Bregenzer Festspiele auf der Werkstattbühne eine österreichische Erstaufführung: Der Reigen, ein Musiktheaterwerk des österreichischen Komponisten Bernhard Lang nach Arthur Schnitzlers gleichnamigem Skandalstück. Aus der literarischen Analyse des Geschlechterzirkus um 1900 entwickelt er eine musikalische Untersuchung kultureller Überlieferungen und Bedeutungen. Im Gespräch erzählt er, was ihn an Schnitzler fasziniert und welche Rolle die Wiederholung in seiner Komposition spielt. VERBORGENE ÄNGSTE, UNTERDRÜCKTE TRIEBE Ein Mann und eine Frau begegnen sich. Sie reden, sie nähern sich einander an. Sie haben Sex. Sie reden wieder und gehen auseinander. Und gleich wieder begegnet die Frau einem Mann, der Mann einer Frau. Ein Mann und eine Frau begegnen »Wer behauptet, Schnitzlers Text hätte für uns heute an Aktualität verloren, behauptet, es gebe die Lüge nicht mehr.« paar hundert Jahren ausgegraben, einen Teil unserer Kultur eigentümlich beleuchten würde.« VOLKSMORAL IN ENDLOSSCHLEIFE Als Brennglas der Gesellschaft fungierte das Stück fast sofort: Publikationsverbot im Kaiserreich, ein Aufführungsverbot zur Uraufführung 1920 in Berlin, das wieder aufgehoben wurde; dann provozierten antisemitische Hetze und organisierte Störtrupps von Nazi-Sympathisanten, die sich auf Betreiben hoher Polizeifunktionäre als Hüter der Volksmoral aufspielten, bei einer er entwickelt hat und all seinen Bühnenwerken zugrunde legt. Erstmals ausformuliert ist diese Methode, mit Text und Musik umzugehen, in seinem ersten Musiktheaterstück Theater der Wiederholungen, uraufgeführt 2003 beim Steirischen Herbst. EINE POLYPHONIE DER WAHRNEHMUNG Was reizt ihn am Musiktheater? »Die Stimme«, sagt er sofort. Mit der Stimme verbunden ist die Sprache: »Wäre die Stimme rein als Transportmittel für Lautgedichte verwendet, wäre das genauso 25

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