IN TÖNEN GESPROCHEN ORCHESTERKONZERTE Johannes Brahms' vier Symphonien werden diesen Festspielsommer bei den Bregenzer Festspielen präsentiert. Es spielen die Wiener Symphoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Philippe Jordan. Er hat es sich nicht leicht gemacht. Erst mit 43 Jahren stellte Johannes Brahms seine erste Symphonie der Öffentlichkeit vor. Ein Grund dafür war der hohe Anspruch an die Gattung seit Beethoven. Dieser formte Anfang des 19. Jahrhunderts die beiden wesentlichen Typen symphonischer Musik: auf der einen Seite die »absolut« für sich stehende Symphonie als Spiel aus »tönend bewegten Formen«, so formulierte es einst der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick. Auf der anderen Seite stand die von einem Programm geleitete Symphonik, wie sie Ludwig van Beethoven in seiner »Schicksalssymphonie« (Nr. 5) oder der vom Landleben angeregten »Pastorale« (Nr. 6) kreierte. Die Symphonie als Ideenkunstwerk war geboren. Das florierende Bildungsbürgertum kultivierte diese Musik als sein ureigenes Erbe in prachtvollen Konzertsälen. DER BESTE KLANG bildeten sich jene Klangkörper heraus, die trotz einiger Erweiterungen bis heute bestehen. Die Streicher (Violinen, Bratschen, Celli und Kontrabässe) sind der Kern eines Orchesters und daher vorne platziert. Dahinter sitzen die durch ihren farbigen Klang charakterisierten Holzbläser (Flöten, Oboen, Fagotte, Klarinetten). Den weichtönenden Hörnern kommt eine Sonderposition zu. Die kraftvollen Trompeten, Posaunen und Pauken umrunden das Orchester, sorgen bei satten und martialischen Passagen für den gewünschten Breitbandsound. KONKURRENZ IN DER MUSIK Neben Beethovens rhythmischer Vitalität setzten Romantiker wie Felix Mendelssohn, Franz Schubert und Robert Schumann auch auf Klangverfeinerung. Doch zur beschworenen »Krise der Symphonie« um 1850 kam es nach deren Tod nicht. Neuere Forschungen beweisen, wie kontinuierlich die Gattung Symphonie von heute oft vergessenen Komponisten fortgeführt wurde – in ganz Europa. Einen Mangel an Werken gab es nie. Die traditionell viersätzige Gattung mit circa 40 Minuten Spieldauer bekam allerdings Konkurrenz durch die von Franz Liszt begründete kürzere und einsätzige »Symphonische Dichtung«. Diese Programmmusik deckte ein weites Feld an Sujets ab – aus Literatur, Mythologie oder Geschichte. Auch mehrsätzige Programmsinfonien bekamen bei Franz Liszt und beim Franzosen Hector Berlioz einen neuen Aufschwung. Viele entstehende Symphonieorchester beflügelten die Entwicklung noch. In diesen Zeiten 28 So gab es stets unterschiedliche Ausprägungen von Symphonik. Ob ein Komponist
In seiner sechsten und letzten Saison an der Spitze der Wiener Symphoniker dirigiert Philippe Jordan diesen Festspielsommer alle vier Symphonien von Johannes Brahms. WIENER SYMPHONIKER in Brahms' Epoche eine Symphonie (ohne Programm), eine Programmsymphonie oder eine »Symphonische Dichtung« komponierte, war bereits ein Statement. Im Kampf unterschiedlicher Strömungen plädierte Brahms für eine »absolut« für sich stehende Musik ohne benanntes Sujet. Dennoch gibt es bei ihm durchaus bildhafte Passagen, etwa wenn er im Finale seiner ersten Symphonie der verehrten Komponisten-Gattin Clara Schumann einen Gruß schickt. Das Solohorn spielt eine volkstümliche Melodie, die er einmal mit den Worten »Hoch auf ’m Berg, tief im Tal grüß ich Dich viel tausendmal!« unterlegte. So entsteht die »romantische Szene« eines bergsteigenden Künstlers, der einen Gruß hinabschickt. Ganz ohne Poesie geht es auch bei Brahms nicht. Doch wird er nie so konkret wie ein echter »Programmmusiker«. BRAHMS »BEETHOVENS ZEHNTE« Brahms' Debüt als Symphoniker fand am 4. November 1876 in Karlsruhe statt. Bereits seine erste Symphonie erlebte einen Triumphzug durch die Konzertsäle von München, Leipzig oder Wien. Der Dirigent Hans von Bülow bezeichnete sie sogar als »Beethovens Zehnte«, sah Brahms also in direkter Erbfolge des »Wiener Klassikers«. Brahms' lange vorbereiteter Erstling ist mit 45 Minuten Spieldauer überaus gewichtig. Ein hochdramatischer Einstieg und die fern an Beethovens »Freudenthema« erinnernde Finalmelodie umrahmen dieses Meisterwerk. Es bringt alles mit, was Orchestermusik damals ausmachte. DIE VIER SYMPHONIEN Zu Brahms' Neuerungen gehören etwa die dritten Sätze, die nicht Beethovens Scherzo-Typ folgen. In den beiden ersten Symphonien sind sie graziös gestaltet, in der dritten melancholisch und in der vierten als humorvoller Geschwindmarsch in brillanter Instrumentation. Jede Symphonie hat ein eigenes Gesicht: Die erste zeichnet den Weg von düsterem Moll zu hymnischem Dur ähnlich wie Beethovens »Schicksalssymphonie«. Die zweite (1877) ist als blühende »Pastorale« zu deuten, die dritte (1883) trägt erhabene Züge, und die am 25. Oktober 1885 mit der hervorragenden Meininger Hofkapelle uraufgeführte vierte ist am raffiniertesten komponiert: Aus einfachen Bausteinen entwickelt Brahms eine hochkomplexe Musik von unglaublicher Sogwirkung. Höhepunkt ist das Finale, in dem die barocke Variationsform der Passacaglia mit romantischem Geist belebt wird. Archaische Wendungen beweisen, dass Brahms seine »absolute« Musik über die Grenzen der Zeit verstand. FESTSPIELHAUS ORCHESTERKONZERTE WIENER SYMPHONIKER 4. August 2019 – 11.00 Uhr Dirigent Philippe Jordan Johannes Brahms Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68 Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73 5. August 2019 – 19.30 Uhr Dirigent Philippe Jordan Johannes Brahms Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90 Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98 Die Orchesterkonzerte werden präsentiert von 29
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