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Festspielzeit Sommer 2021

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

SPIEL AUF DEM SEE Je

SPIEL AUF DEM SEE Je mehr, umso besser? Höher, schneller, lauter um jeden Preis? Action über alles? Emilio Diaz, Stunt Supervisor auf der Seebühne bei der aktuellen Inszenierung von Rigoletto, schüttelt den Kopf: »Nein, nein – wir wollen das Publikum doch nicht schockieren, es überfordern. Im Mittelpunkt der Inszenierung steht das Werk. Wir sind dazu da, Stunts genau so zu temperieren, dass sie helfen, die Spannung zu unterstützen.« Aber das Spiel auf dem See sei kein Zirkus. Viva Forster, die am Ende der Inszenierung als Stunt-Frau und Double der Hauptfigur Gilda am stärksten gefordert ist, sieht das im Prinzip genauso wie ihr Kollege Emilio. Obwohl es für die 27-Jährige gar nicht wild genug zugehen kann, wie sie lachend versichert. DAS GEHEIMNIS AUS ENGLAND Eine große Portion Adrenalin hält dann auch die Schlussphase der Oper für Viva Foster bereit, wenn sie die Grenzen zwischen Himmel und Erde auslotet: Und das hat etwas mit Höhe zu tun, und zwar mit einer sehr respektablen. Genauer gesagt mit 45 Metern, wenn Viva als Gilda in der Schlussszene in den Himmel über Bregenz entschwebt. »Eine Herausforderung, für die Schwindelfreiheit von Vorteil ist«, sagt die Stunt-Frau, die ursprünglich aus Neuseeland stammt und eigentlich von Ballett und Tanz kommt. Es ist eine Sache, als Bewegungsprofi mit viel Training in spektakulären Situation den Atem der Zuschauer stocken zu lassen – was aber ist mit den Darstellerinnen und Darstellern von Rigoletto, die Schauspiel und Gesang verbinden, aber keine Stunt-Leute sind? Und die trotzdem mit ungewöhnlichen Situationen zurecht kommen müssen, wenn sie ihr ganzes Herzblut in Stimme und Ausdruck legen, während ihnen der Wind in schwindelerregender Höhe um die Nase weht? »Das Geheimnis, um das gut hinzubekommen, heißt: Wendy«, erklärt Emilio. Wendy Hesketh-Ogilvie, um genau zu sein. Sie und ihr Mann Jamie Ogilvie sind an der Spitze des Stunt-Teams eng mit Regie, Bühnenbild und Dramaturgie verbunden, um innerhalb der Inszenierung das rechte Maß für Effekte zu finden. Beide betreiben in Liverpool das Wired Aerial Theatre. Diese Company übt die Kunst von Luftnummern im besten und wahrsten Sinne des Wortes aus. Denn die Akteure scheinen mit technischen Mitteln wie Bungee-Seilen in ihrer Performance die Schwerkraft tatsächlich hinter sich zu lassen. »Wendy kann die Künstlerinnen und Künstler in Rigoletto ermutigen, sie wachsen lassen«, sagt Emilio. Zu spüren, wie weit jemand bereit ist zu gehen – und ob er oder sie diesen Weg auch tatsächlich beschreiten kann oder sich damit überfordern würde, auch wenn die Bereitschaft da wäre, ihn zu gehen. Für all das brauche es einen besonderen Sinn. »Und den haben Wendy und Jamie.« SICHER VORBEREITET In den Fragen, die Höhe betreffen, bedeutet das konkret, etwa die verschiedenen Besetzungen der Gilda behutsam, aber zielgerichtet auf Momente vorzubereiten, in denen sie ihre Kunst sozusagen schwebend entfalten müssen. »Das ist sowohl ein körperlicher als auch ein psychischer Prozess«, weiß Emilio. Es beginnt in einem Probensaal, in dem die Sängerinnen und Sänger Schritt für Schritt an Höhe herangeführt werden, später auch auf der Seebühne selbst. »Es ist dann im Verlauf auch immer ein bisschen ein Wettbewerb im Team«, erzählt er. Immer wieder ein Stückchen über sich hinauszuwachsen und es selbst auch zu wagen, wenn der Kollege oder die Kollegin den nächsten Step erfolgreich gemeistert hat. Auf 15 Meter Höhe wagen sich die mutigen Gilda-Sängerinnen im Ballonkorb für die berühmte Arie »Caro nome«. Erst für das Abseilen in der darauf folgenden Entführungs- szene und für das große Finale kommt Viva Foster als Gilda-Double zum Einsatz. Insgesamt sind rund 20 Menschen Teil des Rigoletto-Stunt-Teams. Aber nicht jedes Mitglied hat eine so exponierte Aufgabe wie Viva Foster. »Wichtige Arbeit findet auch hinter den Kulissen statt«, sagt sie. Und Emilio ergänzt: »Da geht es um die technischen Fragen.« Wie ist ein Stunt gesichert? Ist das Material in bestem Zustand? Sind alle Vorkehrungen auch mehrfach überprüft, damit im Ernstfall ein Effekt vielleicht zwar schiefgeht – aber trotzdem vor allem niemand verletzt wird? All das im Blick zu behalten und dabei für das richtige 26

Gemeinsam mit »Gilda« Viva Foster und Stunt Supervisor Emilio Diaz sorgen in Rigoletto über 20 Stuntleute, Artistinnen und Artisten für Bewegung auf der Bühne. RIGOLETTO Timing zu sorgen, während womöglich ein launisches Wetter noch im Laufe eines Abends kurzfristige Entscheidungen nötig macht, ist nichts für schwache Nerven. »Gerade wenn es ums Wetter geht, haben wir auf der Seebühne viele Dinge einfach nicht in der Hand«, sagt Emilio. Wenn jemand in den Seilen hänge und Wind um die Bühne brause, dann sei das von Seiten der Sicherheit her zwar kein großes Problem – »aber das Publikum wäre davon zu sehr gefangen, es würde sich Sorgen um die Stuntleute machen«, sagt Emilio, während Viva lächelt, weil sie gegen ein bisschen Wind für gewöhnlich nichts einzuwenden hat. Trotzdem: Zeichnen sich stärkere Böen ab, wird – im Zweifel nur wenige Minuten zuvor – der Stunt abgeblasen. Und die Inszenierung muss – vom Publikum unbemerkt – ohne ihn auskommen. BESTÄNDIG NEUES Pläne ändern sich also und manche Effekte, die im Zuge der Planungen zunächst für gut und spektakulär befunden werden, erweisen sich während der Proben auf der Bühne als eher mäßig. »Und sie verschwinden wieder«, sagt Emilio und nennt als Beispiel einen bestimmten Balance-Akt auf einem Seil, der in Rigoletto gestrichen worden sei. Zwar ist eine Inszenierung mit so vielen Details wie beim Spiel auf dem See fast wie ein lebendiger, dynamischer Organismus. Doch grundlegende Elemente des Stunt-Repertoires haben auch in der zweiten Spielsaison Bestand. Und wie beständig ist das Stunt- Team selbst? Muss sich das Team im Wiederholungsjahr auf eine komplett neue Mannschaft einstellen? Und damit praktisch wieder bei null beginnen? »Zum Glück nicht«, sagt Emilio. Und Viva schätzt, dass ungefähr 20 Prozent zum Wechsel der jeweiligen Spielzeit neu an Bord sind. »Ganz davon abgesehen, muss man nach einer so langen Winterpause immer erst wieder langsam in die verschiedenen Aufgaben hineinwachsen und viel trainieren.« Und gemeinsam mit der gesamte Crew in jeder Spielzeit wieder aufs Neue das richtige Maß finden. Um Zuschauer zwar in den Bann zu ziehen, sie zu verzaubern, ohne sie aber mit inflationären Effekten davon abzulenken, dass Rigoletto immer noch eine Oper ist und kein Action-Film. SPIEL AUF DEM SEE RIGOLETTO Giuseppe Verdi Oper in drei Akten (1851) | Libretto von Francesco Maria Piave nach Victor Hugos Le Roi s'amuse (1832) | In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Alle Spieltermine finden Sie in der Heftmitte. Das Spiel auf dem See wird präsentiert von 27

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