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Festspielzeit Sommer 2022 - 2

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

WERKSTATTBÜHNE nach

WERKSTATTBÜHNE nach Erlösung« beschrieben. Warum beschäftigt sich das Musiktheater so gern mit dem Erlösergedanken? Unser Stück Melencolia schaut mit einem Lächeln auf den Wunsch nach Erlösung, denn das Stück stiftet mehr Chaos als Ordnung, entwickelt musikalisch eine ganz eigene Logik und wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. In der Melancholie gibt es keine Erlösung, es gibt nur Gedankenschleifen, Assoziationen, Verkettungen. Und ebenso erlebt der Abend einen ständigen Wandel und spielt mit fließenden Übergängen zwischen weit voneinander entferntem Bild-, Video- und Musikmaterial. Die Künstlerische Leitung haben Sie zusammen mit Moritz Lobeck übernommen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Wir haben schon einige Projekte zusammen gemacht, wie zum Beispiel Covered Culture, eine audiovisuelle Installation über das Phänomen der Hymne ausgehend von der Europahymne mit über 100 Chorsängerinnen und -sängern und Performen- den, die in verschiedenen Museen und Galerien in China, Japan und Korea präsentiert wurde – und das während der Pandemie. Wir haben von Berlin, Köln oder Dresden aus Proben geleitet, Videos gedreht, Aufbauten koordiniert und an Openings teilgenommen, danach wussten wir, dass wir ein gutes Team sind! Als Kulturwissenschaftler, Operndramaturg und Festivalkurator bringt Moritz Lobeck ein übergreifendes und ganz anders ausgeprägtes Kontextdenken in die Zusammenarbeit, das mich kompositorisch sehr inspiriert. Haben Sie ein Publikum vor Augen, wenn Sie komponieren? Es macht mir großen Spaß, mich immer wieder in den Zustand des Rezipierens zu versetzen. Ich denke an ein Publikum, das Lust hat, Assoziationen zu entwickeln und ihnen zu folgen. Ich denke an ein Publikum, das vielleicht gerade gestresst von der Arbeit kommt, den Döner noch in der Hand. Oder sich schon lange vorgenommen hat, sich einmal zeitgenössischer Musik zu stellen. Merken Sie, dass es immer noch Berührungsängste mit Neuer Musik gibt? Es existieren vor allem Vorurteile – aber die Neue Musik ist kein Absolutum, sie ist ein Spektrum. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die sich mit Neuer Musik schwertun, mit meiner Musik leichter einen Zugang finden, was vielleicht daran liegt, dass ich viel mit Referenzen arbeite, mit Material, das uns vertraut erscheint, in meiner Musik aber ein Eigenleben, eigene Zusammenhänge entwickelt. Ich betrachte das »Neue« immer als eine Umdeutung bestehender Bedeutungen. Die klassische Musik wurde über Jahrhunderte von Männern dominiert. Wie geht es Ihnen als Komponistin im Jahr 2022? Ich selbst hatte selten Probleme als Komponistin, sehe aber, dass es noch viel zu tun gibt, und habe daher seit 2013 die Leitung eines Festivals in Kooperation mit dem Deutschlandfunk in Köln inne, das dezidiert Komponistinnen fördert. Wir müssen noch viel »aufräumen«, vor allem mit dem männlich geprägten Schöpfermythos, schließlich wurde der über Jahrhunderte hinweg zelebriert. Aber jetzt gerade findet – zumindest in den westlichen Ländern – ein Umdenken statt und Komponistinnen werden sehr gefördert. Dennoch braucht es noch viel Zeit: Als Professorin für Komposition an der Hochschule in Köln sehe ich, dass nur 20 Prozent der Bewerbungen für diesen Jahrgang von Frauen kamen – es fehlt einfach an weiblichen Vorbildern. Sie arbeiten auch mit Künstlicher Intelligenz (KI). An welcher Stelle in Ihrem Stück kommt KI zum Einsatz? Die Vielfältigkeit der musikalischen Ausrichtung kennt beim experimentierfreudigen Ensemble Modern keine Grenzen. Für Melencolia liehen die Musikerinnen und Musiker digitalen Avataren ihre Stimmen und Gesichter. Ich habe die Stimmen von zwei Mitgliedern des Ensemble Modern mittels einer KI geklont – das heißt, ich habe längere Sprechpassagen 14

MELENCOLIA Im musikalischen, spielerischen und auch humorvollen Umgang mit Stereotypen aus Renaissance, Romantik, Pop und Kitsch begibt sich Melencolia auf die Suche nach der befreienden melancholischen Stimmung. ihrer Stimmen in einem Versuch aufgenommen und damit eine KI gefüttert, die gelernt hat, diese Stimmen zu imitieren – das Ergebnis ist erschreckend nah am Original. Eine der beiden Stimmen ist eine Schrei-KI. Normalerwiese hören wir künstliche Stimmen immer als digitale Dienstleister, zum Beispiel Alexa oder Navigationsstimmen. In Melencolia führen die Stimmen ihr Eigenleben, schreien uns an, sind melancholisch, poetisch, verzweifelt oder gelangweilt. Screens, Bühne, Drohnen und Chor: Was für ein Setting erwartet das Publikum bei Melencolia? Niemand muss Angst vor der Technologie und KI an diesem Abend haben, es ist alles recht menschlich geworden. Einerseits befindet sich das Publikum einer frontalen Bühnensituation gegenüber, gleichzeitig ist es aber von bis zu 60 Lautsprechern umgeben inmitten einer 3D-Klanglandschaft. Es gibt zwei Greenscreen-Studios auf der Bühne, in denen die Musikerinnen und Musiker oder der Chor beim Betreten immer wieder in virtuelle Welten versetzt werden können. Die Mitglieder des Ensemble Modern sind das ganze Stück über auf der Bühne, wechseln ihre Rollen zwischen Performenden oder Musizierenden. Vor Beginn des Stücks kann das Publikum eine Smartphone-App auf dem Platz vor der Werkstattbühne anwenden, die Objekte aus Dürers Bild Melencolia I werden als animierte Wesen auf dem Gelände platziert – dabei entsteht eine Art Handychor als Ouvertüre zum Stück. Aber so viel Technik Melencolia auch nutzt: Mir ist es ein großes Anliegen, sie immer wieder verschwinden zu lassen, um andere Kommunikation zu ermöglichen. Sie sind Deutsch-Österreicherin. Was ist Ihre Verbindung zu Bregenz? Ich bin österreichische Staatsbürgerin, da meine Mutter in Vorarlberg geboren ist. Sie hat sogar 1959 bei Die verkaufte Braut im Festspielchor mitgesungen und erzählt mir immer wieder amüsiert, wie jedes Mal bei den Proben irgendwer von den damaligen rumpligen Holzkonstruktionen ins Wasser gefallen ist. Ich habe viel Zeit in Österreich verbracht: Meine halbe Familie lebt in der Nähe von Bregenz. WERKSTATTBÜHNE MELENCOLIA Brigitta Muntendorf | Moritz Lobeck Eine Show gegen die Gleichgültigkeit des Universums | Uraufführung Premiere 18. August 2022 – 20.00 Uhr Vorstellung 20. August – 20.00 Uhr | Werkstattbühne Auftragswerk der Bregenzer Festspiele und des Ensemble Modern Gefördert von der Kulturstiftung des Bundes (Deutschland) FESTSPIELFRÜHSTÜCK Brigitta Muntendorf im Gespräch mit Moderator Stefan Höfel (ORF) 14. August 2022 – 9.30 Uhr | Seefoyer 15

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