WERKSTATTBÜHNE
ZWISCHEN REALITÄT UND TRAUMWELT Kapitän Nemos Bibliothek erzählt die Geschichte zweier Kinder, deren bisheriges Leben per Gericht als »falsch« beurteilt wird. Der Wechsel in ihr »richtiges« Leben stürzt die beiden in Unglück und Wahnsinn. Alle Vertrautheit ist verloren, Erinnerungen und Erfahrungen erscheinen in neuem Licht. In der unerträglichen Situation wird Literatur zu ihrem Anker. Zwei Jungen werden in einem kleinen schwedischen Dorf kurz nach ihrer Geburt vertauscht. Als sie sechs Jahre alt sind, wird entschieden, dass sie nun bei der jeweils anderen Mutter leben müssen. Für die Erwachsenen dieser pietistischen Gemeinde ist mit dem Rücktausch der Kinder die Ordnung »nach Gottes Plan« wiederhergestellt. Für die beiden Jungen allerdings beginnt mit diesem Zeitpunkt die Suche nach einem sinnvollen Zusammenhang der Ereignisse. Ihre ungleichen Erfahrungen von Einsamkeit, Angst, Liebe und Hoffnung und ihre unterschiedliche Sicht auf das Geschehen verhindern eine eindeutige Beantwortung der Frage nach Schuld und Verantwortung und stellen die Freundschaft der Jungen auf eine harte Probe. Das Ringen um die Wahrhaftigkeit der Erzählung ist ein zentrales Motiv in Per Olov Enquists Roman Kapitän Nemos Bibliothek. Erzählt wird aus der Perspektive des erwachsenen ICHs, das sich aus zeitlicher Distanz mit den eigenen Erinnerungen und den Aufzeichnungen seines Freundes Johannes konfrontiert. Aufgrund dieser verschiedenen Perspektiven entstehen unterschiedliche Deutungen der Ereignisse, die den ICH-Erzähler auch noch als Erwachsenen irritieren und verunsichern. VOM ROMAN ZUR OPER »Ich wollte schon immer einmal eine Oper für Puppen schreiben«, sagt der Komponist und Dirigent Johannes Kalitzke. Im Zuge der Anfrage der Schwetzinger SWR Festspiele, eine Kammeroper für das Ensemble Modern zu schreiben, habe er sich auf der Suche nach einem geeigneten Stoff an Enquists Roman erinnert. Die Bibliothek auf Nemos legendärem U-Boot Nautilus wird darin zum Zufluchtsort der beiden Kinder. »Die Kinder entwickeln in den Büchern das tröstliche Bewusstsein von Erfahrung, Schönheit und Ästhetik – das war für mich der entscheidende Zugriff auf diesen Stoff«, so Kalitzke. »An diesem Ort reift in ICH und Johannes die Erkenntnis, dass sich Erfahrungen unendlich oft wiederholen und man trotzdem Hilfe daraus erfahren kann. Deshalb lesen wir Literatur. Um uns mit Menschen zu vergleichen, die das, was wir erfahren haben, auch schon erlebt und bewältigt haben.« Durch die Verwendung von wiederkehrenden Worten, Motiven und Assoziationen sei der Roman einer musikalischen Struktur sehr nahe, erklärt Kalitzke. »Die Grundkonstruktion der Oper basiert auf einer Intervallfolge, die sich verhält wie eine Möbius-Schleife, wie ein Loop. Der sich immer wiederholende Kreislauf dieser Intervalle durchzieht die gesamte Komposition, vergrößert und verkleinert, staucht bzw. dehnt sich … auf diese Weise findet eine kontinuierliche Vertauschung von Innen- und Außenwelt statt. Was am Anfang nur musikalische Kernsubstanz war, wächst an und umschließt am Ende wie eine Sphäre alles andere. Dennoch soll sich beim Hören das Gefühl einer logischen Struktur und formalen Schlüssigkeit einstellen.« FREUDE AN DER ILLUSION Christoph Werner, Regisseur und Intendant des Puppentheaters Halle, entwickelte für Kapitän Nemos Bibliothek das szenische Konzept – ein langer Prozess, wie er sagt: »Wir haben anhand des Librettos diskutiert, was möglich und sinnvoll wäre, und haben uns entschieden, nur die Kinder im Stück mit Puppen darzustellen. ICH und Johannes blicken als Erwachsene auf die Ereignisse von KAPITÄN NEMOS BIBLIOTHEK 21
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