MEHR ALS NADEL UND FADEN EIN BLICK IN DIE KOSTÜMWERKSTATT DER BREGENZER FESTSPIELE SPIEL AUF DEM SEE Bei jedem Satz spürt man, wie sehr Lenka Radecky für ihr Metier brennt. Wenn sie Details von bedruckten Stoffen schildert, die Verzahnung von Herren- und Damenschneiderei, Modisten, Schuhmacherinnen und verschiedenen Kunstgewerben begreiflich macht, dann fasziniert sie Außenstehende. Auch bei Erklärungen, was Ankleider tun oder wofür eine Gewandmeisterin verantwortlich ist, hinterlässt sie beim Laien Eindruck und Respekt vor der jeweiligen Profession. Lenka Radecky kam im Herbst 2018 zu den Bregenzer Festspielen. Sie übernahm als Leiterin die Aufgabe, die Kostümabteilung von einem Saison- in einen Ganzjahresbetrieb zu transformieren. Das ist gelungen. Einen Gutteil der Arbeit übers Jahr zu verteilen, sei nicht nur stressfreier, »wir sparen uns auch einen Batzen Geld«. Beim »Batzen«, den sie nicht näher beziffert, blitzt ihre Schweizer Heimat durch. Die neuen Strukturen sind jetzt besser an die langen Vorlaufzeiten angepasst und daran, dass immer parallel an verschiedenen Produktionen und Saisonen gearbeitet wird. Blicken wir aus Radeckys Sicht auf das diesjährige Spiel auf dem See: »Bei Madame Butterfly sind es 120 Kostüme, jedes Kostüm hat in sich noch fünf bis zehn Teile, also insgesamt etwa 1.000 Teile.« Pro Aufführung auf der Seebühne sind 18 bis 20 Mitarbeitende damit beschäftigt, allen Darstellenden zur richtigen Zeit und am richtigen Ort in ihr – vollständiges – Kostüm zu helfen. Dazu muss jedes Teil nicht nur passen, jeder Gürtel, jeder Schuh muss auch exakt zugeordnet und beschriftet sein. Eine Kostümabteilung zu leiten, das ist eine logistische Herausforderung und beginnt bei der Beschaffung. Für Rigoletto 2019 stammte beispielsweise vieles aus Großbritannien. »Durch den Brexit wäre das heute gar nicht mehr möglich und bezahlbar«, bedauert Lenka Radecky. Für Madame Butterfly wiederum kommen die meisten Stoffe aus Augsburg. Erst recht ist logistisches Verständnis mit Probenbeginn gefragt. Es gleicht einem großen Staffellauf: »Wir beginnen Anfang Juni mit einem rund 30-köpfigen Team und wenn am 4. Juli die letzten zehn zu uns stoßen, gehen die ersten schon wieder.« Durch die Hände von Lenka Radecky und ihrem Team wandern allein für Madame Butterfly rund 1.000 Kostümteile. Zwischen dem Probenbeginn im Juni und der letzten Aufführung im August wächst ihr Stab auf bis zu 55 Profis an. Den Rest des Jahres sind es mit ihr sechs Personen. Die aktuell bereits die Kostüme von 2023 und 2024 im Kopf haben … 8
EIN BILD ENTSTEHT In luftiger Höhe der Seebühne erschaffen Kascheurinnen und Kascheure eine japanische Berglandschaft. Noch nie waren die Malarbeiten für ein Bühnenbild so großflächig und herausfordernd. MADAME BUTTERFLY Wie ein zerknittertes Blatt Papier, das im Wasser treibt, sieht die Seebühne für Puccinis Oper Madame Butterfly aus. Alles scheint leicht und zurückhaltend, die Bühne wirkt trotz ihres Gewichts von 300 Tonnen schwerelos. Nicht Effekte und Action stehen im Vordergrund des Spiels auf dem See, sondern Stimmung und Emotion. Passend zur ergreifenden Geschichte der jungen Cio-Cio-San, genannt Butterfly – Schmetterling. Auf der 1.340 Quadratmeter großen weißen Fläche, die das Papier symbolisiert, entsteht seit mehreren Wochen eine japanische Landschaft. Berge, ein großer Baum und Wasser bilden den Rahmen für die traurige Erzählung. »Leicht und luftig wie eine asiatische Tuschzeichnung« soll das Bühnenbild anmuten, sagt Ausstattungsleiterin Susanna Boehm. Drei Wochen lang arbeiten Frank Schulzes Firma La Mimesi und das Kaschurteam der Bregenzer Festspiele an der Verwirklichung des Landschaftsbildes. »Seit Tosca hatten wir kein Bühnenbild mehr mit so viel klassischer Theatermalerei«, erzählt Susanna Boehm. Als Vorlage Ausstattungsleiterin Susanna Boehm und Kascheur Robert Grammel sind für Madame Butterfly auf der Suche nach der perfekten Papier-Optik. diente dem fünfköpfigen Team eine Zeichnung von Bühnenbildner Michael Levine im A1-Format, die an traditionelle asiatische Landschaftsdarstellungen erinnert. Auf das Bühnenmaß übersetzt wurde der Entwurf auf den 117 vorgefertigten Bühnenelementen, erklärt Boehm. Robert Grammel, seit 2013 Kascheur für die Bregenzer Festspiele, beschreibt den Beginn der Malarbeiten: »Wir haben das Malbuch, das Michael Levine für uns erstellt hat, in Detailaufnahmen segmentiert und auf A3-Blätter ausgedruckt.« Das für den jeweiligen Arbeitsschritt benötigte Blatt nehme man dann mit hinaus auf die Bühne, erklärt Grammel. Begonnen wurde die Arbeit am großen Landschaftsbild nicht mit dem Pinsel, sondern mit dem Klebeband. »Wir haben die Silhouetten der Berge mit dem Klebeband quasi 9
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