THEATER AM KORNMARKT Herr Matthes, seit 2004 sind Sie Ensemblemitglied des Deutschen Theaters Berlin. Was ist für Sie das Schönste am Beruf eines Theaterschauspielers? Ulrich Matthes: Zweierlei. Da ist die lange Probenzeit von sechs bis acht Wochen, in denen man gemeinsam Umwege gehen kann. Es ist ein Prozess, von dem alle Beteiligten wissen, er landet irgendwann an dieser künstlich festgelegten Station, nämlich der Premiere. Auf dieses Datum arbeiten alle hin, in dem Wissen, dass man das Stück dann jahrelang spielt. Insofern erreicht man bei der Premiere einen Zwischenbahnhof, von dem es im Laufe der Aufführungen in die unterschiedlichsten Richtungen weitergeht – mit dem Gerüst dessen, was man in den wochenlangen Proben erarbeitet hat. Diese Art des Suchens nach dem angemessenen Ausdruck, nach einer Wahrhaftigkeit, die mit dem Stück zu tun hat, die sich spiegelt in den Augen der Regie, das ist das eine Schöne an meinem Beruf. Das andere Schöne sind die Energien einer Vorstellung. Ich habe weit ausgefahrene Antennen in Richtung des Publikums und in Richtung meiner Kolleg:innen. Aus den Energien auf der Bühne und aus den Energien, die mir aus dem Zuschauerraum entgegenschwappen, entsteht die einzigartige Energie eines Abends. Anders läuft es bei Film und Fernsehen. Sie spielten unter anderem Joseph Goebbels in Der Untergang und Adolf Hitler in München – Im Angesicht des Krieges, Sie waren mehrfach im Tatort zu sehen. Was ist das Tolle daran, vor der Kamera zu agieren? Beim Film bereite ich mich minutiös vor, den Text kann ich im Schlaf. Und dann kommt das Augenblickhafte der Aufnahme, von dem man weiß, jetzt gilt es, jetzt wird es quasi für die Ewigkeit festgehalten. Auch wenn die Einstellung dann wiederholt wird: Man hat immer das Gefühl, jetzt gilt’s! Diese Art der Hochkonzentration ist anders als im Theater, wo ich eine Bühne für lange Zeit mit der eigenen Präsenz füllen und bis in die letzte Reihe dringen muss. Im Film muss man den Text nur denken oder fühlen und die Kamera nimmt es wahr. Im Vertrauen auf diesen Wunderapparat muss man nichts spielen, sondern nur in der Situation sein. Was ist Ihre Grundmotivation als Schauspieler? Die Grundmotivation ist seit meinen fohlenhaften Anfängen absolut die gleiche geblieben, zum Glück! Meine Leidenschaft und mein Wille zur Wahrhaftigkeit, irgendwo glüht dieser Kern immer noch in mir. Ich will jetzt nicht zu pathetisch werden, das verbietet mir schon allein die Tatsache, dass ich Berliner bin: Aber ich liebe die Proben, ich liebe die Vorstellungen, ich liebe die Arbeit vor der Kamera. Sie hatten bereits als Kind erste Fernsehrollen. Wie ging es weiter? Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, haben mir meine Eltern das untersagt, weil sie das Gefühl hatten, ich werde ein bisschen hochnäsig. Sie hatten sicher recht! Später studierte ich meine beiden Lieblingsfächer Deutsch und Englisch, um Lehrer zu werden, brach aber nach fünf Semestern ab. Offenbar ist der Glutkern in mir ausgebrochen, und dann bin ich eben doch Schauspieler geworden und habe es bis zum heutigen Tage nicht bereut. Zwei Mal wurden Sie von der Fachzeitschrift »Theater heute« als Schauspieler des Jahres gewählt, Sie erhielten den Bayerischen Filmpreis, den Deutschen Theaterpreis »Der Faust«, den Grimme-Preis, die Goldene Kamera und das Deutsche Bundesverdienstkreuz. Alles Auszeichnungen einer großartigen Karriere. Wie haben Sie auf Ihrem Weg Entscheidungen gefällt? Ich bin ein sehr intuitiver Mensch und bin in den wesentlichen Momenten meines Lebens immer erstmal meiner Intuition gefolgt und danach habe ich darüber nachgedacht. Sowohl privat als auch beruflich. Zum Beispiel habe ich mich für eine Schnitzler-Arbeit – ich liebe Schnitzler! – mit Christian Petzold »Generell gilt am Theater: immer her mit den Tränen, dem Lachen, den Emotionen. Raus damit!« 14 entschieden und dafür ein Angebot aus Hollywood für einen Film mit Regisseur Peter Weir abgelehnt. Vielleicht war die Entscheidung im Nachhinein falsch, aber so hat es mein Bauch mir nun mal gesagt. Bei den Bregenzer Festspielen treten Sie in einer knackigen 90-Minuten- Inszenierung als Richter Adam in Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug auf. Mit dieser Rolle geht ein Herzenswunsch in Erfüllung. Und ein zweites Schmankerl wurde mir erfüllt durch die Zusammenarbeit mit Regisseurin Anne Lenk. Sie nimmt Autor:innen sehr ernst, tritt ihnen auf respektvolle Weise gegenüber, holt sie aber doch ins Heute.
Haben Sie eine:n Liebling unter den Komponist:innen? Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen: Mozart. Oha, das sieht jetzt so aus, als ob ich mich einschleimen möchte in Österreich. An anderen Tagen würde ich sagen: Schubert. Auch ein Österreicher! Wenn mich ein New Yorker fragt, würde ich vielleicht sagen: »Was kost’ die Welt – Gershwin!« Da gibt es eine Stelle in seinem Klavierkonzert, da kommen mir immer die Tränen. Mit Heinrich von Kleists Der zerbrochne Krug nimmt das Deutsche Theater Berlin sein Publikum mitten hinein in einen kuriosen Gerichtsstreit. Den Vorsitz führt der wenig ehrenwerte Richter Adam, gespielt von Ulrich Matthes. Und heute ist MeToo ein großes Thema, das uns alle bewegen sollte. Insofern kann man dieses Stück nicht mehr so erzählen, wie es bislang oft üblich war, nämlich als lustige Geschichte von einem Richter, der der Eve halt mal ein bisschen an den Busen gefasst hat, Schwamm drüber. Adam ist ein übergriffiger Täter! Eve tut gut daran, dass sie am Schluss erzählt, wie sich die Geschichte um den zerbrochenen Krug wirklich abgespielt hat. Letztendlich geht es um Machtmissbrauch und Korruption in einem Dorf. Dazu ist jedoch eine gesellschaftliche Struktur nötig, in der das geschehen kann. Natürlich, und alle Figuren haben erstmal Angst vor den beiden Autoritätspersonen, dem Richter und dem Gerichtsrat Walter, die bei uns eine Gerichtsrätin ist. Doch im Laufe des Stücks wird Adam von allen anderen Figuren vom Sockel gestoßen. Ich spiele Adam in dem Bewusstsein, dass es heute Politiker gibt, die ihre unendliche Macht missbrauchen und denken: »Mir passiert gar nichts«. Trump zum Beispiel. Im Mikrokosmos des Dorfes stürzt Adam: Eine Gesellschaft kann sich also wehren! Kleists Genie ist es, Anfang des 19. Jahrhunderts ein Stück zu schreiben, das man im Jahr 2023 – bis auf eine winzige Stelle – im Originaltext als Komödie spielen und in dem man trotzdem einen Täter mit MeToo bloßstellen kann. Sind Witz und Komik in Kleists Freude an Wortspiel und Doppeldeutigkeit zu finden? Es gibt wirklich viel zu lachen in unserer Aufführung. Kleists Text ist hochmusikalisch, sein Versmaß berückend schön, jeder Gedankenstrich hat eine Bedeutung. Ich liebe Kleist auch deshalb, weil ich musikalisch bin. Lustig ist auch das sehr gestische Sprechen: Man unterbricht sich mitten im Satz oder man hangelt sich von Einschub zu Einschub. Ich freue mich, wenn ich Lachen aus dem Publikum höre. Natürlich ist es auch schön, wenn die Menschen vor lauter Rührung schweigen. Generell gilt am Theater: immer her mit den Tränen, dem Lachen, den Emotionen. Raus damit! Bei den Bregenzer Festspielen dreht sich – abgesehen von den Aufführungen des Deutschen Theaters und des Burgtheaters – alles um Oper, Musiktheater und Konzerte. Franz Schuberts Musik erklingt auch, wenn Sie bei den Festspielen im Rahmen der Reihe Musik & Poesie Kleists Das Erdbeben in Chili lesen. Kleist entwirft in dieser Erzählung das Ideal einer friedliebenden Menschheit und zerstört es gegen Ende radikal. Sie ist eine der irrsten Geschichten in deutscher Sprache. Ich habe sie oft vorgelesen, die Menschen sind sehr bewegt danach. Bei Schubert ist es dasselbe in Grün. Er erfand die allerschönsten Melodien, aber sie führen auch in die Abgründe der menschlichen Seele. THEATER AM KORNMARKT DER ZERBROCHNE KRUG Heinrich von Kleist Inszenierung Anne Lenk Bühne Judith Oswald Kostüme Sibylle Wallum Mit Ulrich Matthes, Jeremy Mockridge, Lorena Handschin, Franziska Machens, Lisa Hrdina, Tamer Tahan und Julia Windischbauer PREMIERE 21. Juli 2023 – 19.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN 22. & 24. Juli – 19.30 Uhr Theater am Kornmarkt Hier geht es zum Video-Trailer: DER ZERBROCHNE KRUG 15
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