Johann Wolfgang von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther ist ein absoluter Literaturklassiker. Wie sind Sie zum ersten Mal mit diesem Stoff in Berührung gekommen? OPERNSTUDIO AM KORNMARKT Jana Vetten: In meiner Jugend war ich ein großer Fan des Sturm und Drang, eigentlich der gesamten romantischen Literatur, und konnte Werther in seiner Emotionalität gut folgen. Während meines Studiums habe ich dann selbst eine Schauspielfassung mit drei Spieler:innen erarbeitet. Wir haben uns damals auf die unmögliche Liebe und Themen wie Sehnsucht und Euphorie gestürzt und versucht zu verstehen, was das Gefühl des Verliebtseins ausmacht – und wie dieses Gefühl so stark werden kann, dass es das Einzige ist, was das Leben für eine Person lebenswert macht. Sie sagten einmal, sie hätten mit Werther noch eine Rechnung offen. Wie meinen Sie das? Mit den Jahren habe ich mehr und mehr empfunden, dass ich den anderen Figuren im Roman – Albert und vor allem dessen Verlobte Charlotte – mit dieser affirmativen Lesart nicht gerecht werde. Charlotte formuliert ihre Bedürfnisse klar, sie werden aber von Werther ignoriert und er bezeichnet diese Ignoranz auch noch als Liebe. Ich möchte mich jetzt mehr um Charlottes Geschichte, ihren Schmerz, ihr Weiterleben konzentrieren. Denn nach jedem Suizid gibt es Angehörige, die jeden Tag wieder aufstehen, zur Arbeit gehen, den Alltag meistern und hoffentlich irgendwann wieder Glück finden können. Sie sind aber von dem Trauma des Suizids für ihr Leben gezeichnet und müssen sich oft mit Gefühlen wie Scham und Schuld auseinandersetzen. Bei Werther ist das Thema Schuld besonders stark. Werther versucht immer wieder, durch emotionalen Druck, Charlotte dazu zu bringen, sich zu ihm zu bekennen, was sie aber verweigert. Wenn er sich dann das Leben nimmt, ist es für Charlotte so, als hätte sie ihn in den Suizid getrieben. Wie gehen Sie mit dem Thema Suizid auf der Bühne um? Ich finde das ein schwieriges Thema, Suizid auf eine Art zu inszenieren, die keine Faszination oder »Lust« auf Nachahmung auslöst. Es gibt ja sogar den sogenannten Werther- Effekt, der eine Welle von Suiziden nach Erscheinen des Romans beschreibt. Die Oper hat hier den großen Vorteil, dass wir mit Abstraktion und Bildern arbeiten können und nichts eins zu eins darstellen müssen. Werther singt 24 JANA VETTEN studierte Regie am Thomas Bernhard Institut des Mozarteums Salzburg sowie Performance an der Norwegian Theatre Academy Fredrikstad und arbeitet als freie Regisseurin an der Schnittstelle von zeitgenössischem Sprechtheater, Tanz und Musik. Sie lebt in Wien, wo sie auch die Reihe Salon in Gesellschaft am Schauspielhaus mitkuratiert und moderiert.
kurz vor seinem Tod die technisch schwierigste Passage, allein diese Tatsache befreit mich als Regisseurin von jedem Realismus. Außerdem konzentriert sich unsere Inszenierung auf die Nachkommen und die Zeugen dieses Suizids. Mich interessiert das Anschauen, das Zeuge-Sein, das Aushalten-Müssen der ganzen Familie um Charlotte. Welche Rolle spielt dabei Albert als Charlottes Verlobter? Ich glaube, dass in einer Gesellschaft, die weniger streng an ihren Normen der bürgerlichen Kleinfamilie festhält und in einer Welt, in der Werther nicht ganz so besitzergreifend ist, eine glückliche Beziehung zwischen Charlotte, Albert und Werther möglich sein kann. Albert strahlt Ruhe und Stabilität aus, Werther hat eine wilde Phantasie und große Leidenschaft. Die beiden Männer mögen sich grundsätzlich auch und finden vielleicht sogar diese gegensätzlichen Eigenschaften interessant und Charlotte trägt beides in sich. Wenn alle etwas großzügiger wären, könnte auch ein Leben zu dritt möglich sein. Bild für die Sänger:innen oder Inspiration für Bühne und Kostüme mit einfließen lassen. Anders als im Schauspiel gibt es in der Oper durch die Partitur einen zeitlich genau festgelegten Ablauf. Steht dieser Umstand Ihrer Kreativität im Weg oder können Sie durch die Musik zu ganz anderen, neuen Lösungen kommen? Ich musste für mich eine neue Herangehensweise an die Regiearbeit finden. Den Rhythmus eines Stückes zu bestimmen, war immer Teil meiner Aufgabe. Ich bin auch mit Texten und Figuren oft schon viel freier umgegangen, als es in der Oper möglich wäre, es geht ja hier nicht nur um Texte, sondern auch um Stimmen und Partien, die nicht einfach eine andere Figur singen kann. Ich suche jetzt also meine Freiheit innerhalb der durch die Musik vorgegebenen Form. Gerade bei Massenet ist die Musik auch emotional sehr aussagekräftig, und darin Momente zu finden, in denen wir uns darstellerisch und visuell Raum schaffen, um eine neue Lesart möglich zu machen, ist eine sehr spannende Aufgabe. Ich war schon 2021 mit der Schauspielproduktion Lohn der Nacht in Bregenz und habe einen eher regnerischen, aber sehr intensiven Sommer erlebt. Umso mehr freue ich mich, viel im See baden zu gehen und die großartige Stimmung bei den Festspielen genießen zu können. Ich finde es sehr inspirierend, die anderen Produktionen anzuschauen und neue künstlerische Handschriften kennenzulernen – und ich liebe den Kaffee im Bahi. OPERNSTUDIO AM KORNMARKT WERTHER Jules Massenet Musikalische Leitung Claire Levacher Inszenierung Jana Vetten Bühne | Kostüme Camilla Hägebarth WERTHER Mit Jules Massenets Werther inszenieren Sie bei den Bregenzer Festspielen Ihre erste große Oper. Waren Sie überrascht von dem, was die Librettisten Édouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann aus der Vorlage machten? Die Librettisten haben den Briefroman in eine szenische Handlung übersetzt, die viel dialogischer und weniger literarisch ist als Goethes Roman, der sich oft in langen Beschreibungen von Naturphänomenen und Begegnungen ergeht. In der Oper findet sich viel von Werthers Emphase in der Musik wieder, nicht alles muss ausgesprochen werden. Das eine oder andere sprachliche Bild habe ich vermisst, aber zum Glück kenne ich den Roman sehr gut und kann das als gedankliches Im Rahmen der Meisterklasse mit Brigitte Fassbaender konnten Sie bereits im März die Sänger:innen des Opernstudios kennenlernen. Was war ihr Eindruck? Ich war sehr beeindruckt von der Arbeit mit Brigitte Fassbaender. Wir haben es mit sehr talentierten, interessierten und klugen jungen Sänger:innen zu tun, die inhaltlich mitdenken, technisch auf höchstem Niveau sind und Lust auf Emotionalität und Figuren haben. Ich freue mich sehr, sie in der Zusammenarbeit noch näher kennenzulernen. Sie waren schon einmal bei den Bregenzer Festspielen und kommen nun wieder an den Bodensee zurück. Worauf freuen Sie sich am meisten? Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz-Stadt Symphonieorchester Vorarlberg PREMIERE 14. August 2023 – 19.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN 16., 18. & 19. August – 19.30 Uhr Theater am Kornmarkt FESTSPIELGESPRÄCHE FESTSPIELFRÜHSTÜCK 2 Im gemütlichen Rahmen des Festspielfrühstücks spricht Regisseurin Jana Vetten über ihr Leben und ihre Arbeit. Moderation: Jasmin Ölz (ORF) 6. August 2023 – 9.30 Uhr Frühstück bereits ab 9.00 Uhr 25
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