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Festspielzeit Sommer 2023 - 2

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

Herr Kobéra, seit 1991

Herr Kobéra, seit 1991 sind Sie musikalischer Leiter der Neuen Oper Wien, seit 1993 auch ihr Intendant. Ist sie Ihr Lebensprojekt? WERKSTATTBÜHNE Walter Kobéra: Die Neue Oper Wien ist zu meinem Lebensprojekt geworden, ich habe das so nicht geplant. Ich bin eigentlich oft irgendwo hineingerutscht. Nach der Matura war es das Studium der Theologie und Germanistik, gleichzeitig durfte ich in verschiedenen Wiener Orchestern substituieren, was sich auch eher überraschend ergab. Daraus folgte das Engagement als Geiger beim Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchester und parallel das Dirigieren. Und Wolfgang Amadeus Mozarts Idomeneo. In den 80er-Jahren war diese Oper quasi unbekannt. Nikolaus Harnoncourt hat sie in Zürich herausgebracht und als ich sie auf Schallplatte hörte, war ich begeistert und führte sie konzertant auf. Olivier Tambosi [der in Bregenz zuletzt Arrigo Boitos Nero inszenierte] saß im Publikum und sprach mich danach auf eine szenische Umsetzung an. So machten wir 1993 den Idomeneo im Jugendstiltheater in Wien. Ich liebe das unmittelbare Theater und deshalb bauten wir später für Alban Bergs Lulu in der Messehalle – heute die Halle E im Wiener MuseumsQuartier – eine Zirkusarena. Der Journalist Karl Löbl prägte dafür den Ausdruck »sinnlich-hautnah« und das wurde uns zum Antrieb. Die drei Säulen der Neuen Oper Wien sind Uraufführungen, Österreichische Erstaufführungen und vergessene oder zu wenig gespielte Werke. Letztere durchaus im Zeichen der Nachhaltigkeit. Kompositionen sollen mehrfach aufgeführt werden, natürlich in unterschiedlichen Lesarten. Eine Uraufführung gibt es auch bei den Bregenzer Festspielen zu sehen: Die Judith von Shimoda. Die Geisha und Sängerin Okichi muss den ersten US-amerikanischen Konsul in Japan besänftigen, um den Beschuss der Stadt Shimoda zu verhindern. Danach wird sie von der Gesellschaft verstoßen. Was ist für Sie das zentrale Thema der Oper? Mir geht es darum zu zeigen, wie unsere Gesellschaften agieren, dass sie Menschen immer für ihre Zwecke missbrauchen, instrumentalisieren, und diese nach erfolgreicher Tätigkeit wieder fallenlassen und nicht einmal mehr in das Umfeld und die Umstände zurückschicken, wo man sie herausgeholt hat, sondern sie degradieren. Das zeigt die dunkle Seite des Menschen. Darüber hinaus ist in diesem Stück die instrumentalisierte Person eine Frau, und mit Frauen wird das ohnehin gerne gemacht. Sie stammt aus einer gewissen gesellschaftlichen Schicht, die man gerne benützt, aber mit der man eigentlich nichts zu tun haben will. Weil sie gesellschaftlich nicht opportun ist. Ich verallgemeinere hier, denn Geishas hatten natürlich einen bestimmten Stellenwert. Doch auch sie wird ins Elend gestürzt, sodass sie dem Alkohol verfällt und stirbt. Das Stück beruht auf einem Schauspiel von Yamamoto Yūzō, bearbeitet von Bertolt Brecht und Hella Wuolijoki – und einer wahren Begebenheit. Hat Okichi eine Heldentat vollbracht? Brecht schrieb, es ist eine japanische Judith, wobei ich die biblische Judith in einer anderen gesellschaftlichen Rolle sehe. Okichi erwähnt mitten im Stück, dass sie aus Patriotismus gehandelt hat. Das war ihr einziger Beweggrund. Im Gegensatz zu ihrem Verlobten, der den ökonomischen Vorteil aus der Situation zu ziehen versucht. Trotzdem wird ihr Han- 12

deln in keinster Weise honoriert. Man nimmt gerne, aber wenn es unbequem wird, wollen wir doch nichts damit zu tun haben. Wie bei der Klimakrise. Ich bin frustriert, aber, hm, missen will ich vieles dann doch nicht. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Die Klimakleber:innen können auch von unterschiedlichsten Richtungen instrumentalisiert werden. Es ist schwierig, wie bei der Judith von Shimoda, denn es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Dinge. Weder Brecht noch wir können Lösungen aufzeigen, sondern nur die Problematik als Thema unserer Gesellschaft ins Bewusstsein rücken. Ich gehe davon aus, dass das Stück weder zeitlich noch örtlich festgelegt ist, oder anders ausgedrückt: Es sind keine Kimonos auf der Bühne zu sehen. Wir sehen das Thema tatsächlich universell, es ist nicht auf den asiatischen Kulturkreis beschränkt. Und während bei der thematisch ähnlichen Madame Butterfly die Arroganz des Westens mitschwingt, gibt es hier eine Rahmenhandlung, in der vier Theatergäste über das Stück diskutieren. Sie sind emotional betroffen und fragen immer weiter nach, was aus Okichi wurde. Das könnte man auch als Gewissen bezeichnen. ist völlig egal. Einzig das Resultat zählt. Das kleine Zeitfenster ihres Zusammenseins mit dem Konsul wird heroisiert, aber dass sich dahinter eine menschliche Tragödie abspielt, ist nicht interessant. Okichi ist Geisha und Sängerin und am Ende taucht ein Straßensänger auf, wie eine Art Spiegel. Er singt eine Ballade über sie, die sich verändert, eine Metamorphose passiert. Der Komponist der Oper ist Fabián Panisello. Er studierte in Buenos Aires und Salzburg. Wie klingt die Musik? Gibt es spezielle Effekte oder Instrumente? Fabián verwendet Klangfarben und rhythmische Raffinessen, die eine bestimmte Sogwirkung entfalten. In der Rahmenhandlung spielt Elektronik eine große Rolle. Fabián nahm beispielsweise Bonshō-Glocken aus Japan auf, die er im Studio verfremdet hat und die alle Intermezzi begleiten. Ferner setzt er Verzögerungen und Wiederholungen ein und erreicht eine tiefe musikalische Raumwirkung, die das Publikum mitnimmt, in gewisser Weise umarmt. Außerdem wendet er im – übrigens herzzerreißenden – Epilog eine Technik an, die er als »Doppelgänger« bezeichnet. Während live gespielt wird, hört man zeitgleich, elektronisch und komprimiert, die ganze Oper. am Ende ist nicht veristisch, oder eigentlich doch veristisch. Ein 2023-Verismo? Genau! Da haben wir nun vom Ausdruck her einen Bezugspunkt zur Madame Butterfly gefunden, in der Puccini zahlreiche Elemente des Verismo verwendet. Okichi und Butterfly verbindet ihre Opferbereitschaft. Butterfly scheitert an diesen unüberbrückbaren gesellschaftlich festgefahrenen Strukturen. Bei Judith geht es weniger um den Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Japan, das ist nur der Auslöser. Das Drama spielt sich innerhalb der geschlossenen Gesellschaft ab, was das Stück so zeitlos macht. WERKSTATTBÜHNE DIE JUDITH VON SHIMODA Fabián Panisello Musikalische Leitung Walter Kobéra Insze nie rung Philipp M. Krenn Bühne | Kostüme | Video Susanne Brendel Wiener Kammerchor amadeus ensemble-wien PREMIERE 17. August 2023 – 20.00 Uhr DIE JUDITH VON SHIMODA Es scheint doppelt paradox zu sein: Okichi befolgt eine Anweisung, wird instrumentalisiert und danach folgen Ächtung, Abstieg und Absturz. Parallel dazu wird ein Lied auf ihre Tat gesungen, sie wurde zur Legende, während sie verarmt und alkoholkrank vor der Vernichtung steht. Auch das ist eine weitere Facette von Instrumentalisierung, wo die Mächtigen alles so drehen, um selbst in einem positiven Licht zu stehen. Nach dem Motto: Wir haben alles richtig gemacht, denn Okichi ist eine Legende. Aber wie es ihr geht, In der eigentlichen Handlung treten Singstimmen direkt mit einem Instrument in Dialog. Generell gesagt reicht das Klangvokabular der Sänger:innen von Gesprochenem und Geflüster über Sprechgesang bis zu halb oder voll Ausgesungenem. Der Tonumfang ist extrem erweitert. Das alles ist aber nicht Selbstzweck, sondern dient der Verständlichkeit der Figuren. Fabián Panisello kreiert unglaubliche Klangerlebnisse, er schafft es, dass wir allein über die Klänge und den Sound eine Geschichte erzählt bekommen. Dennoch kommt seine komplexe Musik komplett leicht daher, man wird mitgerissen. Selbst das Lamento VORSTELLUNG 19. August – 20.00 Uhr Werkstattbühne DER PODCAST DER BREGENZER FESTSPILEE HÖR-SPIELE In der neusten Folge geht es um Giacomo Puccinis Madame Butterfly und Fabián Panisellos Die Judith von Shimoda. 13

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