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Festspielzeit Winter 2014

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

Hoffmanns Erzählungen

Hoffmanns Erzählungen war für Sie eine Art Initialerlebnis in der Oper, seitdem lässt Sie das Werk nicht mehr los. Worin liegt dieses besondere Verhältnis zu Offenbachs letztem Bühnenwerk? HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN Sie haben in Berlin, Oslo, bei den Salzburger und Bayreuther Festspielen, am Royal Opera House Covent Garden inszeniert – um nur ein paar Opernhäuser zu nennen –, nun arbeiten Sie zum ersten Mal für die Bregenzer Festspiele. Was reizt Sie an diesem Ort? Trotz oder gerade wegen der fast schlichten Kompositionsweise hat diese zunächst konventionell wirkende Nummern-Oper eine unheimliche Suggestionskraft. Auch musikalisch ändern sich die Räume ständig und die phantastische Atmosphäre steigt wie aus dem berüchtigten Schlaf der Vernunft, der Ungeheuer gebärt. Wie Hoffmann bin ich selbst immer ein Träumer gewesen und kann auch ein Lied über die Unzuverlässigkeit des Seins singen. Darüber hinaus scheint mir dieses Werk höchst konzeptionell erdacht. Die psychologische Komplexität und die Surrealität machen Hoffmanns Erzählungen für mich zu einer Art Pionier-Oper des 19. Jahrhunderts, die die Abgründe des modernen, vom Kapital gesteuerten Menschen radikal auf der Bühne brachte. Stefan Herheim: Ich habe Verwandte im Allgäu, die ich als Kind oft besucht habe. Damals haben mich die Dimensionen der Seebühne fasziniert. Als Regisseur beschäftige ich mich mehr mit den Möglichkeiten der herkömmlichen Theaterbühne und schätze deren Intimität. Die Bregenzer Festspiele bieten beides, »Wie Hoffmann bin ich selbst immer ein Träumer gewesen.« haben Mittel und schaffen Arbeitsbedingungen, mit denen man die relativ kurze Probenzeit ausgleichen und eine konzentrierte Atmosphäre erzeugen kann. Umgeben von der vielfältigen Dreiländer-Landschaft am Bodensee ist das alles sehr reizvoll. 16 Hoffmanns Erzählungen ist ein einzigartiges Werk und vereinigt sehr unterschiedliche Aspekte in sich: Operettenseligkeit genauso wie Grand-opéra, romantisches Schauermärchen und Künstler - drama – welche Seiten faszinieren Sie besonders? Gerade die nicht festzulegende Gattung und das Grenzüberschreitende an den nur scheinbar voneinander getrennten Erzählungen ist Spannende an diesem Bühnenwerk, das weit in die Zukunft weist und Alban Bergs Lulu quasi vorwegnimmt. Offenbach wollte die Oper in zwei unterschiedlichen Genres für Paris und Wien präsentieren, starb aber, bevor sie zur Aufführung kam. Das große Rätseln über den vom Komponisten erwünschten Ablauf und die viele Versuche, das Unvollendete zu vollenden, sind auf eine enigmatische Weise Bestandteil des Werks geworden. Das macht Offenbachs künstlerisches Vermächtnis zu einem ewigen Workshop, bei dem man mit

STEFAN HERHEIM gehört zu den aufregendsten Regisseuren unserer Zeit. allen Fragen des Musiktheaters – ethische wie ästhetische – konfrontiert wird. Immer wieder steht die Musik selbst im Mittelpunkt der Handlung: Die Puppe Olympia beginnt zu singen, Antonia stirbt an ihrem Gesang, ihr Vater verdient sich als Geigenbauer. Welche Rolle spielt die Musik in Hoffmanns Erzählungen? Das ist eine ebenso gute Frage wie die Antwort beängstigend ist – jedenfalls aus der Perspektive der Figuren um Hoffmann: Für sie ist die Musik ein Mittel zum egoistischen oder völlig missratenen Zweck und wird regelrecht missbraucht, um Besitz von jemanden oder etwas zu ergreifen. Die Musik kommt dann fast distanziert daher, jedoch immer mit einem betörenden Charme. Höchst überzeugend und rührend vermittelt sie aber auch die Angst und Leidenschaft, von der die Personen unbewusst getrieben sind. Das ständige musikalische Pendeln zwischen Ironie, Zynismus und echtem Sturm und Drang erzeugt eine unwahrscheinlich brisante Ambivalenz. Somit wird nicht nur die Leine, auf der Hoffmann als »erzählter Erzähler« balanciert, bis zum Zerreißen gespannt, sondern auch das Selbstverständnis des kunstbeflissenen Opernpublikums. Hoffmann möchte lieben und scheitert an der Liebe. Was sucht er in den drei Frauenfiguren Olympia, Antonia und Giulietta? Und welche Rolle spielt Stella, von der wir im ersten und fünften Akt nur hören? Stella, der große Stern am Kunsthimmel und die ehemalige Liebhaberin Hoffmanns, von der er noch besessen ist, wird in seinen Erzählungen in der Maske der Puppe, der Sängerin und der Hure pervertiert und vernichtet. Dabei wird Hoffmann, als Täter und Opfer zugleich, von seiner Muse begleitet. Hier spielen männliche Projektionen und die Macht der Ohnmacht eine wesentliche Rolle, und wir haben uns im Team entschlossen, den männlichen Anspruch auf eine unabhängige, nahezu göttliche Daseinsform hervorzuheben, ebenso den sich daraus ableitenden Drang zur Flucht in den Rausch. Traditionell ist die Frau als Nachfolgerin Evas die Sünderin schlechthin - das Andere, Fremde, das zerstörende Element der Schöpfung. Zugleich zieht das Ewig-Weibliche uns hinan. Heute, im Zeitalter der Gender Studies und der Transsexualität, verträgt diese sublimierte Form von Schizophrenie eine andere Verarbeitung als im 19. Jahrhundert. Die Frage, wie man die Frauen, vor allem die Rolle Giulettas im unvollendeten vierten und die Rolle der Stella im unvollendeten fünften Akt besetzt, versuchen wir mit dieser inhaltlichen Problematik konstruktiv zu verquicken. Das Werk stellt einen Regisseur vor große Herausforderungen: eine Puppe, die lebendig wird und singt, dann aber zerstört wird; ein Hauptdarsteller, der sein Spiegelbild an eine Frau verliert – das lässt sich nicht realistisch erzählen. Worin liegen für Sie die größten Hürden bei diesem Werk? Auf einer naturalistischen Darstellungsebene mögen es unüberwindbare Hürden sein. Auf der Bedeutungsebene machen diese Situationen jedoch Hoffmanns Erzählungen zu dem, was sie sind: ins Phantastische verdrehte Geständnisse eines Mannes, der sich im Absturz vom gescheiterten Leben verabschiedet. Ich glaube, Offenbach hat sich in dieser Hinsicht mit seinem Protagonisten stark identifiziert. Aber zurück zur Frage zur szenischen Umsetzung: Ich finde es zum Beispiel brillant, wie Hoffmanns Begeisterung für die von ihm lebendig geglaubte Olympia die schlichte Umkehrung dessen ist, woran das Publikum sich ergötzt; nämlich die glaubwürdige Verkörperung einer virtuosen, mechanischen Puppe durch die lebendige Sängerin. Die Welt will betrogen werden! Die Fragen stellte Olaf A. Schmitt. HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN 17

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