OPER IM FESTSPIELHAUS E ine Oper nach William Shakespeares Hamlet, ist dieser große Stoff der Weltliteratur eine Bürde oder eine willkommene Herausforderung? Olivier Tambosi: Hamlet ist kein Stoff, der einem oft auf der Opernbühne begegnet. Es gibt Ambroise Thomas’ Hamlet, der nicht oft aufgeführt wird und im Ruf steht, Shakespeares Vorlage nicht wirklich gerecht zu werden. Als ich begonnen habe, mich mit Arrigo Boitos und Franco Faccios Amleto (Hamlet) zu beschäftigen, musste ich schon schlucken, weil es tatsächlich deren erklärter Ehrgeiz war, den künstlerischen Anspruch von Shakespeares Schauspiel voll auf die Opernbühne mitzunehmen. Dieser Stoff bezieht seit der Uraufführung einen Teil seiner Faszination immer wieder auch aus dem Unerklärlichen, Rätselhaften. Das Spannende liegt darin, dass sich in jeder Epoche neue Fragen auftun: Fragen von Sein und Schein, vom Sich-Verstecken im gesellschaftlichen Machtspiel, Fragen über und nach Realität und Identität – das sind nur einige der vielen Fragen des Hamlet. Als Regisseur bin ich begeistert und habe zugleich Respekt vor dieser Aufgabe. Seit 1871 ist die Oper in Europa nicht mehr szenisch aufgeführt worden. Entsteht daraus eine besondere Verantwortung für die Inszenierung? Für mich ist es prinzipiell keine andere Herangehensweise, ob es sich um ein Repertoirewerk wie Die Zauberflöte oder Carmen handelt oder um eines wie Pélleas et Mélisande, das nur punktuell auf den Spielplänen steht. Die Verantwortung im Umsetzen der Vorlage bleibt dieselbe: Wie können wir die Geschichte dem Publikum verständlich und spannend erzählen? Vielleicht ist es mit uraufzuführenden oder selten gespielten Werken manchmal leichter, weil man nicht von anderen Inszenierungen beeinflusst ist. Boito und Faccio haben sich in einem besonderen Umfeld bewegt. Wie lässt es sich beschreiben und wie schlägt es sich in der Oper nieder? »Amleto sollte das tönende Manifest einer neuen Idee sein.« Im Mailand der 1860er-Jahre haben sich Faccio, Boito, Giuseppe Rovani, Emilio Praga und andere – es waren Maler, Schriftsteller, Komponisten dabei – zur Gruppe der Scapigliatura zusammengeschlossen. Sie haben sich selbst so getauft, die Scapigliati, die Zerzausten, denen der Wind durchs Haar gefahren ist. Oper war für sie die Kunstform, in der alle Künste zusammentreffen. Das klingt nach Gesamtkunstwerk und tatsächlich waren Richard Wagner, Giacomo Meyerbeer und Franz Liszt wesentliche Vorbilder der Bewegung, und zwar als Vertreter einer Moderne, die in Italien noch nicht angekommen war. Die Scapigliati wollten das ändern und die italienische Oper sozusagen neu erfinden, durchaus im Gegensatz zum damals bereits etablierten Schaffen Giuseppe Verdis, dem sie vorwarfen, dass er seit seiner frühen avantgardistischen Oper Macbeth hinter den Möglichkeiten des modernen Musiktheaters zurückgeblieben und inzwischen ei- 20 gentlich überholt sei. Vor allem von Boito gibt es ganze Abhandlungen über eine neue, erst zu schaffende Form des italienischen Musiktheaters, und die Oper Amleto sollte das tönende Manifest dieser Ideen sein. Es ist besonders interessant, dass sie dabei ausgerechnet nach dem Hamlet griffen. Um 1860 war das Stück in Deutschland, Österreich und selbstverständlich England längst etabliert und Shakespeare wurde bereits als Dichter des Jahrtausends wahrgenommen. Auf den Bühnen Frankreichs und Italiens hingegen war Hamlet bis um die Jahrhundertmitte noch ein verpöntes Stück: Die Handlung wurde nicht verstanden, Hamlets Konflikt nicht nachvollzogen. Das heißt, zu dem Zeitpunkt, als die beiden sich für Hamlet entschieden, war es ein Tabubruch, aber auch ein Griff nach den Sternen, nach der ganz großen Thematik, die im vorbildhaften deutschen Ausland populär ist. Es war wohl auch ihr Wunsch, mit der Wahl des Stoffes etwas zu machen, was noch keiner gemacht hatte. – Es hatte zwar schon ein paar Versuche von Hamlet-Opern in Italien und Frankreich gegeben, die aber erfolglos geblieben waren. Und Ambroise Thomas’ Hamlet entstand erst kurz nach Faccios und Boitos Oper. In Nord- und Mitteleuropa wird Hamlet vorwiegend als grübelnder Intellektueller dargestellt. In Franco Faccios Oper ist vom ersten Ton an ein ungestümer, wilder Hamlet zu hören. Wie charakterisieren Boito und Faccio ihre Hauptfigur?
In regelmäßigen Abständen trifft sich das Regieteam von »Hamlet« mit den Verantwortlichen der Bregenzer Festspiele zum Austausch: Kostümbildnerin Gesine Völlm, Operndirektorin Susanne Schmidt, Andrea Schuch – Mitarbeiterin der Ausstattung, Technikchef Wolfgang Urstadt, Regisseur Olivier Tambosi und Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann (v. l.). Wenn wir die traditionellen Bilder des nachdenklichen Hamlet im Kopf haben, bis hin zu der berühmten Fotografie von Laurence Olivier mit dem Totenkopf, dann ist da immer dieses Nachsinnen, das Introspektive, das Zögern. Im Gegensatz dazu präsentiert sich der Hamlet dieser Oper beinahe erschreckend vital und gewalttätig. Und das ist nicht etwa dem »Opernhaften« des Genres an sich geschuldet, auch auf der italienischen Schauspielbühne gab es diese andere Herangehensweise an die Figur. Als man das Stück ab den 1850er-Jahren auch in Italien vermehrt zu spielen begann, haben sich viele italienische Starschauspieler die Rolle angeeignet, es in Italien gespielt, sind aber damit auch weltweit auf Tour gegangen. So gab es damals tatsächlich Aufführungen mit deutsch sprechendem Ensemble, aber der Stargast spielte seine Rolle englisch, französisch oder italienisch – heute im Schauspiel beinahe undenkbar, damals sehr begehrt. In historischen Kritiken berühmter italienischer Hamlet-Darsteller liest man, dass diese ihren Hamlet zum Erstaunen der Rezensenten von Anfang an als mordlüstern spielten, einen aggressiven, dynamisch-kraftvollen Hamlet verkörperten. Zu einer Zeit, als auf deutschen Bühnen die Hamlet-Figur extrem verinnerlicht dargestellt wurde, gab es in Italien schon einen extrovertierten, auch gewalttätigen, fast negativen Hamlet. Eine ganz andere Welt. So ist auch in Faccios Oper das berühmte »Oh schmölze doch dies allzu feste Fleisch!« kein verinnerlichter, leiser Monolog. Hamlet sagt es zwar für sich, aber während um ihn herum eine lärmende Krönungsfeier für Claudius abläuft. Er schleudert diesen Satz mit einer Wucht und in einer dramatischen Tenorlage heraus, als wolle er das ganze Fest um ihn damit zum Schweigen bringen. Als müsste er sich Gewalt antun, um nicht gleich loszurennen und jemanden abzustechen. Dieses Krönungsfest eröffnet die Oper, bei Shakespeare wird es nur erwähnt. Wie lässt sich diese Veränderung gegenüber der Vorlage erklären? Wie haben sich Boito und Faccio insgesamt zum Original verhalten? Sie mussten natürlich komprimieren. Das muss jeder Librettist, da gibt es in Italien eine lange Tradition, die Boito sehr gut kannte und meisterhaft beherrschte. Hier wird aber sogar etwas dazugenommen ... ... das finde ich sehr interessant. Es ist beinahe so, dass in der Oper die Rollen der Gertrude und des Claudius mehr an Profil gewinnen als in vielen Schauspielinszenierungen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts wird HAMLET 21
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