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Festspielzeit Winter 2016

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

SPIEL AUF DEM SEE »T he

SPIEL AUF DEM SEE »T he world's foremost stage designer«, nannte das Magazin New Yorker Es Devlin anlässlich ihres Bühnenbilddebüts an der Metropolitan Opera. Sie heißt eigentlich Esmeralda, ihren Namen hat sie knapp und sachlich abgekürzt. Spätestens seit sie das Set für die Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele in London 2012 designte (und die Olympia-Eröffnung in Rio 2016), ist die englische Szenografin ein Superstar ihrer sonst eher im Verborgenen wirkenden Zunft. Die Liste ihrer Arbeiten liest sich wie ein »Who is Who« der Rock- und Pop-Szene: Sie kreierte unter anderem Shows für Adele, Katy Perry, Lady Gaga, die Pet Shop Boys, Lenny Kravitz, Take That und U2; eine schon über zehn Jahre währende Zusammenarbeit verbindet sie mit Kanye West. Es sind nicht einfach Bühnenbilder, die Devlin entwirft, sondern erstaunliche, manchmal überwältigende Imaginationsräume, die ungeheuer modern wirken und oft technisch sehr innovativ sind. Doch weit über die schillernde Oberfläche hinaus zielt sie in die Tiefe, auf den Kern der Geschichte, die ein Drama, eine Oper – oder auch eine Show – erzählen. Denn am Anfang ihrer Karriere stand das Theater, und bis heute arbeitet sie für die Bühne: für das Glyndebourne Festival, die Scala, die Nationalopern in Helsinki und Kopenhagen, natürlich für das Royal Opera House Covent Garden und das English National Theatre, für Oper, Ballett oder Schauspiel; nur im deutschsprachigen Raum war sie bisher selten, etwa 2013 am Theater an der Wien mit Kasper Holten (Hector Berlioz' Béatrice et Bénédict). DIE BALANCE VON LOGIK UND INSTINKT Alles begann an der English National Opera, die Inszenierungen fachten die Fantasie der Zwölfjährigen an, und nach wie vor empfindet Es Devlin Oper als avantgardistische Kunstform. »Ich hatte damals keine klare Vorstellung, was ich werden wollte, aber ich war besessen davon, mich in dunklen Ecken zu verstecken und mit Glühbirnen zu spielen, und ich baute kleine Modelle von irgendwelchen Dingen – und das ist im Grunde, was ich immer noch tue.« Ehe sie die Laufbahn einer Bühnenbildnerin einschlug, studierte Devlin englische Literatur, dann Kunst an der berühmten Central St. Martins School of Art and Design in London. Manche sagen, niemand habe wie sie das Vokabular der zeitgenössischen Kunst für die Bühne erschlossen. Künstler wie Rachel Whiteread, Damien Hirst, Bill Viola, Bruce Nauman, Tracey Emin, aber auch Pina Bausch inspirieren sie, ebenso wie Filme, Musik, Literatur – und ihre Kinder, durch die sie »in einen 14 ES DEVLIN anderen Bewusstseinszustand« gelangt, von dem aus sie immer wieder von Neuem auf die Realität schaut. Mit dem Blick der Künstlerin, die visuellen Eindrücken immer wieder überraschende Bedeutungen abgewinnt. Und die alle Fragestellungen und Reflexionen sofort gestalterisch umsetzt; seit ihrer Ausbildung zur Bühnenbildnerin im Motley Theatre Design Course denkt sie stets mit dem Bleistift in der Hand. Auch heute, wo sie in ihrem Studio im Süden Londons acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, die CAD-Entwürfe und 3D-Animationen ausarbeiten, stehen Skizzen am Anfang jeder Arbeit; Tausende davon haben sich in zwanzig Berufsjahren angesammelt.

Für Kasper Holtens Inszenierung von Mozarts »Don Giovanni« am Londoner Royal Opera House entwarf Es Devlin ein komplexes Gebäude, das sich auch mittels Projektionen veränderte. CARMEN Seit einiger Zeit postet Devlin Zeichnungen, Entwürfe, Fotos auf Instagram und eröffnet so einen faszinierenden Einblick in ihre Arbeitsweise und ihr visuelles Denken. Etwa: Auf dem Faltenwurf der Vorhänge im verdunkelten Hotelzimmer entdeckt sie im Gegenlicht eine wild gezackte Gebirgssilhouette. Aus dem Sichtbaren gewinnt sie Sinn oder Bedeutung; in ihrer Arbeit will Es Devlin eine Wahrheit transportieren, die »nicht durch zu viel Kalkül verwässert wird. Letztlich geht es immer um die Balance von Logik und Instinkt.« Und um die Empfindung des Zuschauers. Deshalb findet die erste Besprechung mit der Regie stets im Zuschauerraum, aus Publikumsperspektive statt. RAUM FÜR EMOTIONEN SCHAFFEN Wenn U2 auf ihrer Innocence & Experience-Tour sich inmitten von Projektionen auf einem Laufsteg zwischen zwei als Buchstaben geformten Bühnen bewegen, geht es nicht zuerst um den spektakulären Anblick (der dabei natürlich auch entsteht), sondern darum, zwischen Performern und Publikum Nähe zu schaffen, physisch und emotional. Wenn Miley Cyrus auf einer nach ihrer eigenen Zunge geformten Rutsche auftritt, wenn Kanye West allein im Flimmern eines Meers von Videozuspielungen singt, die Band unsichtbar im Orchestergraben, widerspricht all das dem üblichen Szenenaufbau, der den Künstler auf den Thron und ins Scheinwerferlicht stellt. Stattdessen werden die Stars Teil des Geschehens, agieren in einem Ereignisraum, der atmosphärisch und emotional aufgeladen wird. Darum geht es ihr, nicht um die Größe oder den technischen Aufwand. Wenn es richtig läuft, sagt Es Devlin, entsteht die technische Innovation aus den Ideen, die erzählt werden wollen. Deshalb identifiziert sie sich mit einem Zitat aus Hamlet: »Ich könnte in einer Nussschale eingeschlossen sein und mich als König unbegrenzten Raums betrachten.« 15 DAS UNBEKANNTE ALS MOTOR Es Devlin überschreitet gerne Grenzen, gedanklich und in der Wahl ihrer Projekte: Pop-Show oder Oper, Schauspiel oder Mode, Sportspektakel oder Ballett – für sie befruchten sich die verschiedenen Genres. »Ich halte mich für eine Außenseiterin in jedem Medium, in dem ich arbeite; ich fühle mich wohler, wenn ich nicht alle Regeln kenne«, erklärt sie ihre Neugier, immer in neue Bereiche vorzustoßen. In der etwas unkomfortablen Position außerhalb der Branchenfamilie zu bleiben, empfindet sie als segensreich für ihre Kreativität. Devlin liebt Herausforderungen – und die Furcht davor, dass etwas nicht funktionieren könnte, wirkt wie ein Motor. Das passt zur Seebühne, wo es gilt, einen Kunst-Raum in einem vorgegebenen, machtvollen Naturraum zu kreieren. »Im Unterschied zu physischer Architektur«, erklärte Es Devlin dem Magazin New Yorker, »entwerfe ich geistige Konstruktionen: Denn Erinnerungen sind tragfähig – und das ist es, was ich bauen möchte.«

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