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Festspielzeit Winter 2018

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele!

Was dachten Sie, als

Was dachten Sie, als Elisabeth Sobotka Sie einlud, Verdis Rigoletto zu inszenieren? SPIEL AUF DEM SEE Philipp Stölzl: Von Bregenz hatte ich lange geträumt, schon als ganz junger Bühnenbildner habe ich mit großen Augen auf die Fotos der sensationellen Bühnenbilder geschaut … Bei Rigoletto habe ich am Anfang ein wenig gezögert, denn es ist ein Kammerspiel, oft nur mit zwei Personen auf der Bühne, im Verborgenen, bei Nacht; man könnte es mit nur einer Wand und einer Tür spielen – doch genau darin besteht die Herausforderung, für ein so intimes Stück eine metaphorische Bildwelt zu schaffen, die groß genug ist für den See. Ich habe dort mehrere Produktionen gesehen, war auch schon mal im Gespräch, und als es nun geklappt hat, habe ich mich wahnsinnig gefreut, dass ich das einmal im Leben machen darf. Sie haben bei Jürgen Rose an den Münchner Kammerspielen Bühnenbildner gelernt, haben erst Videoclips, dann große Filme fürs Kino gedreht und inszenieren am Theater eigene Stücke und Opern. Was entzündet Ihre Fantasie? Musik? Bilder? Ein Handlungsort? Musik! Die Musik bestimmt ja die emotionale Wahrnehmung der Oper, die Libretti sind oft verschwurbelt oder spielen in Welten, die entweder fantastisch oder sehr lang her sind. Hauptsächlich bin ich ja Filmemacher und so, obwohl ich seit über zehn Jahren Opern inszeniere, ein bisschen opernfremd. Diese Fremdheit versuche ich mir zu erhalten und schaue bewusst mit einer gewissen Naivität und voller Neugier auf eine Oper. So arbeitet man sich durchs Repertoire und entdeckt auch neue Dinge für sich. Am Anfang meiner Opernarbeit interessierte mich vor allem das deutsche Repertoire, Wagner natürlich, auch Französisches; ich mochte das suggestiv Tiefgründige und habe um die Italiener mit ihren Arien und Strettas eher einen PHILIPP STÖLZL Bogen gemacht. Doch mit Trovatore habe ich Verdi für mich entdeckt – dieses tolle Frontaltheater, wo es von Affekthöhepunkt zu Affekthöhepunkt geht und die Gefühlsexzesse einfach so hingeklatscht werden. Was das szenisch bedeutet, habe ich erst lernen müssen. Für den Opernregisseur heißt es immer: Wie verwandelst du die Musik und die szenische Prämisse in wirkliches Theater? Unterschiedliches Repertoire wird ja auch von unterschiedlichen Sängern gemacht, und dass man von einem Wagner-Tenor nicht die gleiche Beweglichkeit erwarten kann wie von einer Mozart-Soubrette, das kapiert man erst im Lauf der Zeit. Doch das A und O, wenn ich eine Arbeit beginne – oder zusage –, ist immer die Musik. Sie haben früher Videoclips für Rockund Pop-Größen wie Rammstein, Gianna Nannini oder Madonna kreiert – gibt es da Berührungspunkte? Die Voraussetzungen und der Kontext unterscheiden sich. Im Video als einem Werbemittel für eine Platte geht es natürlich sehr stark um die Künstler. Da ist es die Musik, für die man eine Geschichte und Bilderwelt sucht – nicht so viel anders als in der Oper. Wobei die Oper ja schon eine Geschichte mit Musik erzählt, während du für den Popsong die Geschichte erst erfindest – oder du bleibst im Assoziativen, da gibt es ja tausend Varianten … Opern zu inszenieren ist eine Sekundärkunst – es gibt schon ein Kunstwerk, das ist so stark, so toll komponiert, so berührend, dass es sich über mehr als 100 Jahre hält. Egal, wer es über die Jahre von der Provinz bis zur Scala verhunzt: Così fan tutte bleibt immer Così fan tutte ... Und zu so einem Kunstwerk musst du dich szenisch und musikalisch verhalten. Der Ball wird dir zugespielt, es ist nur die Frage, wie gut spielst du ihn weiter? Schaffst du es, eine Bildwelt und Erzählweise zu erzeugen, die die Oper an diesem einen Abend oder an diesem Theater toll in Szene setzt? Eine gewisse Demut vor der Musik und vor dem, was ursprünglich erzählt werden sollte, ist bei mir immer vorhanden. Ich gucke erst einmal mit großen Augen auf diesen Rigoletto und schaue, was wird denn da überhaupt erzählt? Was treibt die Figuren? Was interessiert Sie an Rigoletto besonders? Dass es die klassische Trennung von Held und Bösewicht nicht gibt – alle Figuren haben Dreck am Stecken: Da ist dieser Herzog, der seine Macht missbraucht – mit Blick auf die »Me too«-Debatte kann man Rigoletto ganz aktuell begreifen. Rigoletto selber macht da auf ungute Weise mit, er verspottet die gehörnten Leute – doch gleichzeitig versteckt er seine 10

Tochter zu Hause. Das macht ihn so ambivalent. Dann hat man den Bösewicht Sparafucile und seine Maddalena, die ja auch eine große Liebende ist und ein leichtes Mädchen. Doch auch der Herzog wird, so wie er komponiert ist, in seiner Liebe zu Gilda von einem ernsten romantischen Gefühl getrieben … das finde ich toll. In diesem Stück gibt es keine schematischen Stereotypen, obwohl die Musik die Emotionen so laut und grell ausmalt. Die Musik ist voller Ohrwürmer, raffiniert wie ABBA, eigentlich ist das 19.-Jahrhundert-Pop – und trotzdem sind die Figuren so schillernd, so modern. Das macht im Storytelling Spaß. Ein Buckliger als Narr, ein körperliches Gebrechen als Gegenstand der Unterhaltung, wie geht man damit um? Der Krüppel Rigoletto ist eine provokante Theater-Setzung; die Frage, dieser anfänglich sie verspottet hat – das ist schon ein ziemlich harter Blick auf die Welt. Der Narr mit dem Buckel tut genauso das Seine dazu wie alle anderen. Auch wir verachten Rigoletto ein bisschen, weil er ein gewissenloser Kerl ist, der bei allem, was der Herzog seinen Untergebenen antut, nachtritt; zugleich hat er als Verspotteter unser Mitleid, er ist auch ein Leidensmensch, weil ihm Böses widerfährt – bis hin zum Verlust seiner über alles geliebten Gilda. Die Leiter-Szene bei Gildas Entführung und ihr Tod strapazieren die Logik, das kann szenisch heikel sein. Worin sehen Sie die Herausforderung für die Regie? Ach, es gehört doch zur Oper, dass die Leute ewig singen, ehe sie sterben – das ist eines der schönsten Opernklischees, das wünscht man sich doch, einen Operntod wie Bregenz ist eine Riesenshow mit dem See und 7.000 Zuschauern – und Entfernungen, über die man die Gesichter der Darsteller kaum sieht. Auf der Seebühne kommst du mit einer psychologischen Erzählweise nicht weit, da musst du mit Zeichen arbeiten – außer man filmt alles ab und projiziert es groß, doch dann gucken wie bei großen Rockshows in Stadien alle irgendwann nur noch auf den Fernseher … Da verliert man, finde ich, die Essenz des Live-Moments auf der Bühne. Als Bühnenmensch, der zum Film geraten ist und dann wieder zurück, sind mir diese unterschiedlichen Arten, mit Emotionen umzugehen, sehr vertraut. Das hier muss ein Spektakel sein, sonst hat das keinen Witz. Wir müssen also die Grundzüge des Plots mittransportieren, das ist wie Pop-Art-Malerei, das braucht die leuchtende Farbe und den großen Pinsel. Deshalb gehen wir mit Rigoletto in eine bunte, zirkushafte und RIGOLETTO »Eigentlich ist Rigoletto 19.-Jahrhundert-Pop.« ob man sich hier über Behinderte Gedanken machen sollte, würde ich mit »nein« beantworten. Man darf nicht vergessen: Abgesehen von dem Gegenwartsstück La Traviata spielen viele Verdi-Opern, auch die Shakespeare-Vorlagen wie Falstaff, in metaphorischen Welten; der Herzog, die Prinzessin sind nicht im konkreten Zeitkontext verhaftet, und die Dinge, die da verhandelt werden, lassen sich vielfältig interpretieren. Gildas. Die Sequenz mit der Leiter ist unfassbar schwachsinnig, das ist wirklich wildes Plotting. Ich verbringe ja durch die Filmarbeit viel Zeit damit, Geschichten so zu bauen, dass sie narrativ sinnvoll funktionieren und die emotionalen Bögen stimmen – mich gruselt bei solchen Libretti, das müsste unbedingt umgeschrieben werden … (lacht). Aber wir haben für die Leiter eine szenische Lösung gefunden, die im Kontext Sinn ergibt. karnevaleske Welt – ein Set-up, in dem auch ein ordentlicher Schuss Commedia dell’arte steckt. Ich möchte, dass du als Zuschauer diese fantastische Musik hörst und dazu eine Handlung siehst, deren Bildern du folgen kannst, und dann hast du ein hoffentlich sehr sinnliches Erlebnis. Diese Bande unsympathischer Hofleute mit ihren zynischen Streichen verspotten Rigoletto, wie Bregenz ist mit Theater nicht vergleichbar, aber mit Film noch weniger, oder? 11

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