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Festspielzeit Winter 2019

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

SPIEL AUF DEM SEE Die

SPIEL AUF DEM SEE Die Seebühne der Bregenzer Festspiele ist nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Künstler ein außergewöhnliches Erlebnis. Bei Ihrem Debüt 2017 als Micaëla in Carmen fühlten Sie sich so wohl, dass Sie als Gilda in Giuseppe Verdis Rigoletto neue Abenteuer suchten. Welche Bedingungen gibt es? Mélissa Petit: Ich wurde vor Vertragsabschluss gefragt, ob ich Ängste habe. Vor Höhe, vor engen dunklen Räumen, vor Wasser. Seit der Micaëla weiß ich, dass ich schwindelfrei bin. Außerdem wurde mir gesagt, dass ich fit sein muss, wenn ich die Gilda singe, denn es wird körperlich anstrengend. Schutz, dass Sie dort oben die anspruchsvolle Arie »Caro nome« dermaßen bravourös singen und mit klaren Koloraturen und zartesten Klängen berühren können? Diese Arie der Gilda ist wirklich exponiert, jeder Fehler bemerkbar. Ich muss in mir den Platz für sie finden, wo ich mich damit gut fühle. Doch was die Inszenierung betrifft, hatten wir von Anfang an Sicherheitstrainings und trugen immer Klettergurte, damit sie wie eine zweite Haut werden. Für Sänger ist ein straffes Geschirr um den Bund ungewöhnlich. Wir lernten, damit zu atmen und zu singen. Und natürlich müssen auch die technischen Handgriffe, das Fixieren und Lösen der Karabiner, sitzen. MÉLISSA PETIT wurde im französischen Saint-Raphaël geboren und studierte Gesang in Nizza. Von 2010 bis 2013 war sie Mitglied des Internationalen Opernstudios in Hamburg, von 2015 bis 2017 im Ensemble des Zürcher Opernhauses. Wie bereiten Sie sich konditionell für die Bregenzer Festspiele vor? Ich habe ein bisschen Gewicht abgenommen, Sport gemacht und mich gesünder ernährt. Während des Sommers in Bregenz fahre ich Fahrrad, gehe zu Fuß und schwimme. Stunts gehören auf der Seebühne dazu. Diesmal steigen Sie – das Bild ging um die Welt – mit einem Fesselballon auf. Gemütliches Schweben oder allabendlicher Kick? Ich fuhr das erste Mal in meinem Leben Ballon. Gemeinsam mit den beiden anderen Sängerinnen der Gilda näherten wir uns langsam und über zwei Zwischenstopps den 15 Metern Höhe, wo wir unsere Arie singen. In Carmen stand ich auf der riesigen Hand mit der Zigarette zwar noch fünf Meter weiter oben, aber das war ein fixes Gerüst. Der Korb in Rigoletto ist jedoch nur mit Seilen verankert und nach allen Richtungen offen. Zuerst war es ein Adrenalinstoß, ich musste tief durchatmen. In der Alternativszene bleibt der Ballon unten, wenn der Wind für Sie eine zu große Gefahr bedeutet. Gab es jemals eine Situation, in der Sie Angst hatten? Bei einer der letzten Proben vor der Premiere begann kurz vor meiner Arie ein heftiger Wind, der Korb schwankte. Ich dachte: Das Einzige, was ich kontrollieren kann, ist der Gesang. Es gibt ein Orchester, das spielt »Caro nome« und ich kenne diese Arie gut, also singe ich. Es hat funktioniert, ich weiß nicht, wie. Ihr Debüt bei den Bregenzer Festspielen gab die Sopranistin als Micaëla in Carmen 2017, als Gilda in Rigoletto kehrte sie zurück auf die Seebühne. Die Ballonhöhe entspricht dem dritten oder vierten Stock eines Hauses. Wie empfinden Sie in dieser einzigartigen Lage so viel 10

Ansonsten wurde ich von Vorstellung zu Vorstellung mutiger. Es gibt diesen spannenden Moment, in dem ich an der Kante des Ballons sitze und ein Bein über den Rand baumeln lasse. Bei den letzten Aufführungen war mir die Situation so vertraut, dass ich beide Beine hinaushängen ließ. Ein phantastisches Gefühl der Leichtigkeit, das sich wiederum auf die Stimme auswirkt. Es ist lustig, aber wenn ich selbst im Zuschauerraum sitzen darf, weil eine Kollegin singt, halte ich an der Stelle genau wie das Publikum den Atem an. Sie sind freiberufliche Sängerin, waren im Ensemble des Opernhauses Zürich, wo Sie regelmäßig gastieren und ab Januar 2020 die Marzellina in Fidelio singen. Was macht den größten Unterschied zwischen dem Spiel auf dem See und einer Inszenierung im Opernhaus aus? Mit viel Mut und guter Vorbereitung meistert Mélissa Petit die Herausforderungen der Seebühne. RIGOLETTO Auf der Bühne eines Opernhauses rennt man nicht so viel und weit wie hier. Deshalb teile ich mir auf der Seebühne den Gesang genau ein und achte darauf, immer genug Luft zu haben. Gesichtsausdrücke sieht man kaum, deshalb spiele ich mit dem ganzen Körper und mache große Bewegungen. Außerdem erreichen wir innen das Publikum emotional direkt mit unseren Tönen. In Bregenz gibt es Mikrofone zwischen Zuschauern und Künstlern. Wir singen technisch wie immer und müssen trotz der großen Bühne nicht forcieren. Durch das wunderbare Soundsystem ist es möglich, ins Pianissimo zu gehen, wenn es in der Partitur steht. Man hört alles. Es gibt nur ein paar Häuser wie Zürich, in denen die Akustik so gut ist, dass das funktioniert. Auf der Seebühne können wir schöne Musik machen, so wie sie der Komponist geschrieben hat. Außerdem finde ich es toll, den ganzen Sommer von 9.00 Uhr früh bis Mitternacht draußen zu sein, auch in den Pausen. Das ist für Opernsänger nicht normal. Doch ich muss gestehen, wenn ich nicht in Bregenz bin, fehlen mir die Festspiele sehr. Wir sind für elf Wochen wie eine Familie und kennen uns sehr gut. Schön, dass ich nächsten Sommer wieder hier sein werde! Das Publikum darf sich auch 2020 auf Ihre Interpretation der Gilda freuen. Neben der Ballonfahrt schwingen Sie in dieser Rolle auf einer XXL-Schaukel und klettern aus dem Mund des Narrenkopfs über einen Abgrund auf die riesige Hand. Dort findet zuvor die erste Szene zwischen Rigoletto und seiner Tochter Gilda statt, in der sie nach ihrer Mutter fragt. 11 Rigoletto kann nicht darüber reden, denn Gildas Mutter war die einzige Frau, die ihn liebte, und sie ist gestorben. Das ist für ihn zu schmerzvoll. Um die zweite wichtige Frau in seinem Leben nicht ebenfalls zu verlieren, behütet er Gilda sehr streng. Das ist fast ein bisschen zu viel an Liebe und selbstsüchtig, aber das ist ihm egal. Dabei will die Jugendliche ihren eigenen Weg finden. Das Problem ist, dass sie sehr leidenschaftlich ist und der erste Mann, den sie kennenlernt, der Herzog, natürlich nicht der Richtige ist. Aber was können wir sagen? Erste Liebe ist erste Liebe. Und für einen Teenager geht es um alles oder nichts. Und sie gibt alles bis zum Tod. Gilda ist reine Liebe. Während Gilda auf der Bühne stirbt, steigt der Ballon mit einem Stunt-Double auf 45 Meter Höhe. Wie empfinden Sie das Finale? Ich habe die Vorstellung acht Mal gesehen. Mir gefällt die Inszenierung unglaublich gut und das letzte Bild berührt mich sehr, ich bekomme Gänsehaut. Meine Mutter hat geweint am Ende – und sie weint üblicherweise nicht. Nachdem die Musik verklungen ist, halten die Menschen kurz inne und beginnen erst dann zu applaudieren. Das ist das größte Kompliment an den Regisseur. Das bedeutet, er hat das Richtige gefunden.

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