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Festspielzeit Winter 2020

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

BRÜCKENSCHLAG NACH

BRÜCKENSCHLAG NACH HINTEN UND BLICK NACH VORN 75 JAHRE BREGENZER FESTSPIELE Der Historiker Meinrad Pichler über die künstlerische und gesellschaftliche Positionierung der frühen Bregenzer Festspiele Bühne für das erste Spiel auf dem See: Mozarts Bastien und Bastienne, 1946

Anlässlich der Jahreshauptversammlung der Bregenzer Theatergemeinde im September 1930 berichtete ein Vorstandsmitglied über die Freilichtaufführungen, die bei einer Reise durch Deutschland zu sehen waren. Bregenz, so schlug der Kulturtourist vor, hätte eine Reihe herrlicher Plätze für ein Freilichttheater. Der Vorstand sicherte schließlich zu, sich mit der Idee wegen ihrer »nicht zu unterschätzenden Bedeutung für den Fremdenverkehr« zu befassen. Die Wirtschaftskrise und die politischen Verhältnisse der folgenden Jahre boten aber keinen günstigen Boden für mutige kulturelle Projekte. Doch die Idee für ein Freilichttheater im Bregenzer Sommer war geboren; durch die unglückseligen Zeitläufte zwar aufgeschoben, aber nicht vergessen. Der oft als Stunde null bezeichnete politische Neubeginn vom Mai 1945 war in Wirklichkeit ein Brückenschlag in die Vergangenheit. Die Zukunft sollte mit dem Personal und der Ideologie der Vorkriegszeit gebaut werden, Kulturverständnis und kultureller Kanon stammten ebenso aus der Zeit vor dem sogenannten Anschluss im März 1938. Österreich hatte sich angeblich nichts vorzuwerfen, bezeichnete sich selbst als erstes Opfer des Nationalsozialismus und setzte deshalb auf Kontinuität. Die Wiederherstellung Österreichs fußte auf einem Rückgriff in die Vergangenheit und weniger auf einer Vision für die Zukunft. »Wir können dort weitermachen, wo wir 1938 aufgehört haben«, meinte ein einflussreicher Vorarlberger Kulturschaffender zur Ausrichtung der neuen Kulturpolitik. Nicht einmal die historisch korrekte Wendung »aufhören mussten« wollte dem kulturellen Brückenbauer über die Lippen gehen. Genau in diesem historischen Kontext sind auch die Gründungsabsichten und Programme der frühen Festspiele zu sehen. In welchem Bregenzer Gasthaus und von welcher Männerrunde die Vorkriegsidee von einem Freilufttheater erstmals aufgebracht wurde, darüber waren sich die Zeitzeugen nie einig. Jedenfalls war der städtische Verkehrsausschuss, der weniger für den Straßenverkehr als vielmehr für die Hebung des Fremdenverkehrs zuständig war, auf der Suche nach einer geeigneten Freiluftbühne am Gondelhafen fündig geworden. Und der kommunistische Stadtrat Max Haller besorgte in Fußach ein Kiesschiff. Davor hatten die Aktivisten verschiedene andere mögliche Spielorte wie etwa das Stadion, den Steinbruch im Thalbach oder etwa die Freitreppe vor der Herz-Jesu-Kirche nach genauer Besichtigung verworfen. Erst etwa einen Monat vor Festivalbeginn wurden Programm und Spielorte endgültig fixiert. Auch in den Programmheften der Jahre 1946 und 1947 wird in pathetischer Rhetorik und den Nationalsozialismus ausklammernd an frühere Zeiten angedockt. »So ist es verständlich«, schrieb der Kulturjournalist Walter Scheiner in der Programmankündigung 1946, »dass wir, reif geworden durch bittere Erfahrungen, dort wieder Fuß fassen wollen, woher die Besinnung auf uns selbst ihre gläubigste Kraft nehmen kann – in dem Erbe unserer Väter, die den Namen der österreichischen Kultur zu dem gemacht haben, was er ist. Hier am Schwäbischen Meer beginnt Österreich, das wir wieder zu dem machen wollen, was es war: Hüter alter Kultur und Quell junger künstlerischer Kraft.« In der Praxis der folgenden Jahre wurde allerdings fast ausschließlich der erstgenannte Aspekt umgesetzt. Soweit der verbale Überbau. Adolf Salzmann, der umtriebige Stadtrat, praktische Organisator und gute Geist der ersten »Festwoche«, der für den notwendigen Unterbau sorgte, dürfte über die großen Worte eher geschmunzelt haben. Sein nüchterner Pragmatismus war von gefüllten Fremdenbetten und anrollenden Schweizer Franken ebenso bestimmt wie von der holden Kunst. Viele Bürgerinnen und Bürger sahen so wie er in der Festwoche eine Aufstehhilfe für das darniederliegende Wirtschaftsleben; einen gemeinsamen Kraftakt zur Einebnung der gesellschaftlichen Gräben; einen festlichen Farbtupfer im grauen Nachkriegsalltag, insgesamt eine Art spielerischer Exorzismus des Kriegstraumas. »Die Festspielwochen 1946«, schrieb im Programmheft 1947 ein vormals nationalsozialistischer Volkskundler, »waren ein Symbol der Auferstehung aus dem Grauen und der Vernichtung, ein Ausdruck österreichischer Lebenszuversicht, alemannischen Kulturwillens.« In keinem der beiden Vorworte wurde der Nationalsozialismus beim Namen genannt. Das menschenvernichtende und kulturzerstörende Regime wurde tabuisiert, und so sollte es auch in nächster Festspielzukunft bleiben. Rückerinnerung an fernere schönere Zeiten war angesagt, die unmittelbare Vergangenheit so weit wie möglich ausgeblendet. Was eignete sich da besser als die Operette, in der fesche k. k. Offiziere den Ton angaben und vom Vernichtungskrieg keine Rede war. »Glücklich ist, wer vergisst ... « Auch der beschworene »alemannische Kulturwille« wurde in den Folgejahren kaum spürbar. Die Landesregierung blieb mit finanzieller Unterstützung hin- und zurückhaltend und ohne nachdrücklichen Wiener Support und FESTSPIEL-JUBILÄUM 9

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