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Festspielzeit Winter 2021

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Das Magazin der Bregenzer Festspiele

Puccinis Oper erzählt

Puccinis Oper erzählt die Geschichte von Cio-Cio-San, genannt Madame Butterfly. Was interessiert Sie persönlich, als Regisseur, an diesem Werk? SPIEL AUF DEM SEE Andreas Homoki: Puccini ist ein Komponist, der eindringlich wie kein anderer Emotionen artikuliert, und die Geschichte dieser Frau ist eine unglaubliche emotionale Reise. In ihrer Heirat mit diesem Amerikaner sieht sie einen Weg hinaus aus der strengen, traditionellen japanischen Gesellschaft, in der die Frau wenig zu sagen hat, in eine andere, wie sie meint: freiere Welt – und daran glaubt sie so sehr, dass sie alle Hinweise, die dagegen deuten, ignoriert, bis hin zu einer bewussten, fast neurotischen Ausblendung der Realität. In dem Moment, als die Wirklichkeit nicht mehr zu verleugnen ist, bricht dieses Bild in Sekundenbruchteilen zusammen, und dann ist es nur ein kleiner Schritt zum Selbstmord. Da wächst eine kleine, schwache Person zu einer Tragödienheldin heran: Mit übermenschlicher Kraftanstrengung hält diese sehr junge, zarte Frau gegen alle äußeren Anzeichen ihre Hoffnung aufrecht. Als Regisseur erzählen Sie innere Handlung vor allem durch die Interaktion zwischen den Figuren. Inwiefern müssen Sie angesichts der gewaltigen Dimensionen der Seebühne Ihre Art zu inszenieren neu denken? Wie beeinflusst das Ihre Vorbereitung auf das Stück? Das ist die Grundherausforderung auf der Seebühne – was mich schon gereizt hat, seit ich sie das erste Mal gesehen habe. Natürlich macht eine gute Personenregie aus, dass man auf der Bühne über Blicke und Aktionen Beziehungen zwischen den Figuren herstellt. Madame Butterfly ist eigentlich ein Kammerspiel, und der Bühnenbildner Michael Levine und ich wollen genau das versuchen: Personenbeziehungen auch auf dieser Bühne herstellen. Solange ich glaubhaft mache, dass eine Person auf die andere reagiert, kann ich die Distanz zwischen zwei Figuren ausdehnen – dann spannt sich der Bogen eben nicht über anderthalb Meter, wie wenn man sich am Tisch gegenübersitzt, sondern über 25 Meter. Natürlich ist es da viel schwieriger, Spannung herzustellen; es bedarf genauer Vorbereitung und eines genauen Abwägens, wann das, was zwischen zwei oder drei Personen passiert, ausreicht – und wann eine Vergrößerung erforderlich ist. Bei Rigoletto etwa diente dieser Kopf als Vergrößerung – man wusste gar nicht: Ist er Darsteller, ist er Zuschauer, wirkt er mit? Doch wir haben für unsere Inszenierung nicht ein spezielles Objekt vorgesehen, das besonders viel kann, sondern wollen eine Spielfläche herstellen, die die Figuren extrem ausstellt, so dass man sie ganz besonders stark wahrnimmt. Auch die Klarheit der Kostüme kann beitragen, indem dadurch Gruppen voneinander abgegrenzt werden. Zum Beispiel erscheinen in der Chorsituation mit Cio-Cio-Sans Freundinnen diese Geisha-artigen Figuren multipliziert, oder die Gruppe der Verwandten, die wieder anders aussehen. Über solche Gruppierungen kann man auch Bildwirkungen herstellen, die wiederum an die Figuren auf der Bühne gekoppelt sein müssen, insbesondere natürlich an Cio-Cio-San. ANDREAS HOMOKI wurde als Sohn einer ungarischen Musikerfamilie in Deutschland geboren und studierte in Berlin Schulmusik und Germanistik. Freie Regiearbeiten führten ihn an die Opernhäuser Europas, 2002 wurde er Chefregisseur an der Komischen Oper Berlin, 2004 deren Intendant. Seit 2012 ist er in dieser Position am Opernhaus in Zürich. 14

Butterflys Geliebter Pinkerton ist Marine-Leutnant; erwartet uns ein amerikanischer Flugzeugträger im Bodensee? Nein! Bühnenbilder, die in einem 1:1-Maßstab Dinge auf die Seebühne stellen, funktionieren nicht so gut, weil dadurch die Personen ein bisschen verschwinden. Bei einem deutlich stilisierten, vergrößerten Teil – etwa diesem Buch mit dem Skelett in der Kulisse von Ein Maskenball 1999|2000 – wird eine Figur aufgrund der Künstlichkeit des Settings ganz anders wahrgenommen. Künstlichkeit ist sehr wichtig, aber es muss auch etwas Zeichenhaftes haben, etwas Erkennbares, das als Präsentierteller für die Figuren dient, die man dann umso besser sieht. Denn letztlich geht es doch um die Figuren! Puccinis Sympathien sind eindeutig: Neben Cio-Cio-San mit ihrer anrührenden emotionalen Intensität steht dieser Pinkerton, ein auftrumpfender Tenor, durchaus das Klischee eines imperialistischen Amerikaners und selbstgefälligen Machos – wie kann uns diese Figur fesseln? Emotional fesselt der uns nicht, er stößt uns ab. Aber wir beobachten, dass dieser junge Mann charmant Handelns zu vermitteln, verweigert er sich. Er sagt: Ich bin jetzt hier und habe meinen Spaß, das ist völlig ok, das machen alle, und nachher fahr ich nach Hause und dann werde ich auch richtig heiraten. Da gibt es keine Empathie, und diese Arie, die er am Schluss von sich gibt, ist derart erbärmlich ... Das ist übrigens ein Problem: Tenöre mögen Pinkerton nicht so gern singen und darstellen. Es ist mutig von Puccini, den strahlenden Tenor, der Liebhaber und Utopieträger ist, negativ zu zeichnen. Doch stückimmanent ist er ja der Utopieträger! Für Cio-Cio-San ist er das, er verkörpert die schöne neue Welt gegenüber diesem alten Japan. Da will sie hin! Die Bühne muss diese Grundpolarität zeigen: eine Welt, die jahrtausendealt wirkt, traditionell, verfeinert und subtil –und da hinein bricht dieses Pragmatische, Moderne, militärisch und ökonomisch sehr viel Effizientere ein. Das traditionell Japanische ist ein integraler Bestandteil der Oper, bis in die Musik hinein. Wie entgeht man der Gefahr des Klischees? »Man möchte auf die Bühne laufen und dieses Mädchen wachrütteln.« ist, und seine Respektlosigkeit gegenüber dieser japanischen Welt ist für Cio-Cio-San durchaus erfrischend. Sie erliegt seinem Charme und er findet sie auch total süß, aber er sieht keine Verantwortung – auch gegenüber Sharpless, dem anderen Amerikaner, der immer versucht, ihm die Konsequenzen seines Ikonografie muss ja nicht Klischee sein, Klischee ist, wenn man etwas unhinterfragt behauptet. Um Japan zu visualisieren, haben wir ein riesiges Repertoire von Ausdrucksmöglichkeiten – über Kunst, Malerei, natürlich auch über Theatersprache und die Kostüme: Japan hat besondere Theaterformen, Kabuki und No, in denen es bestimmte Kostümtraditionen gibt, auf die man sich berufen kann. Und wenn man eine Gruppe von Leuten in solchen Kostümen auf die Bühne stellt, ist das schon mal Japan – kein Klischee, sondern dargestellt. Das Theater ist zum Zeigen da. Ist Cio-Cio-San ein Opfer des Kolonialismus? Natürlich ist sie das, Pinkerton nimmt sich alles und fährt wieder weg. Er beutet sie aus in einem für ihn fremden Land. Man kann das kolonialistisch nennen – oder besser imperialistisch. Es gibt ein Wohlstandgefälle und Wirtschaftsbeziehungen, die dazu führen, dass der Stärkere den Schwächeren ausnutzt, das gibt es bis heute an vielen Orten auf der Welt und das wirkt bis in die sozialen Beziehungen hinein, da wollen die Leute dann weg, nach Amerika oder nach Europa ... Das ist die Voraussetzung, darauf beruht diese Geschichte, und wir sind mit unserer Empathie natürlich ganz bei der Frau, die da diese Ausbeutung erfährt. Und wir erleben die Geschichte ganz aus ihrer – Butterflys – Perspektive ... ... ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Wir sind ihr extrem nah, aber spätestens im zweiten Akt sehen wir glasklar, auf welchem Holzweg sie ist. Man möchte auf die Bühne laufen und sie wachrütteln: »Mädchen, komm, hör auf – merkst du denn nicht ...?« Doch genau das ist so anrührend, diese unglaubliche Kraft, mit der sie sagt: Nein, das muss doch möglich sein! Sie fährt komplett gegen die Wand, wir sehen es – und doch verstehen wir sie. Als Sharpless ihr eröffnet, dass Pinkerton nicht kommen wird, und ihr den Ausweg einer neuen Heirat weist, da sagt sie: »Nein, das mach ich nicht, das kann ich nicht, das bin nicht ich – dann kann ich nur wieder als Geisha arbeiten, und das bin ich auch nicht, das will ich auch nicht, dann sterbe ich lieber.« Diese wahnsinnige Konsequenz und Stärke beeindrucken tief, weil wir ja alle pragmatische Menschen sind und uns anpassen, da sehen wir gern, wenn einem jemand auf der Bühne eine solche Konsequenz vorlebt. MADAME BUTTERFLY 15

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