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Programm Così Fan Tutte 2015

Così fan tutte von Wolfgang Amadeus Mozart oder Die Schule der Liebenden Dramma giocoso in zwei Akten KV 588 (1790) Libretto von Lorenzo da Ponte In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Premiere: 17. August 2015 – 19.30 Uhr Weitere Aufführungen: 18., 20. & 22. August – 19.30 Uhr

Dorabella verhält sich

Dorabella verhält sich anders als Fiordiligi. Sie ist rasch entflammbar, daher launisch, wechselhaft in ihren Gefühlen und bricht in ihrer Arie „Smanie implacabili che m’agitate“ („Unerbittliche Qual, die mich peinigt“) auffällig voreilig in Schreien und Wehklagen aus. Man ahnt früh, dass ihre Kapitulation vor dem neuen Liebhaber umso hemmungsloser und rascher erfolgen wird, je heftiger sie zuvor den Widerstand gegen ihn nach außen kehrte, eine Spur zu theatralisch, um ihre Affekte für aufrichtig zu halten. Mozart achtete darauf, durch eine Charakterstudie, die die Schwächen eines Menschen entblößt, eine Figur niemals zu denunzieren. Dies wird spätestens in Dorabellas Arie „E Amore un ladroncello“ („Amor ist ein kleiner Dieb“) offensichtlich, die wie Fiordiligis zweite Arie als Rondo gestaltet ist: Thema mit Variationen, durch das die spekulativen Behauptungen der Männer zu wahren Empfindungen der Frauen verwandelt werden. Ferrando ist ein Schwärmer, wirkt zunächst blass und eher unscheinbar. Und doch ist er es, der in seiner Arie „Un‘ aura amorosa“ („Ein Hauch der Liebe“) die entscheidende Wende des falschen Spieles zum wahren Sein auslöst, unmittelbar vor dem Finale des ersten Aufzuges. Oberflächlich besehen klingt seine Arie lyrisch und sentimental. Mozart versah sie jedoch mit dramatischen Auftakten und auffällig subjektiven Akzenten. Durch seine Fähigkeit, ein noch unbewusstes Gefühl in Poesie zu verwandeln, öffnet Ferrando die Sphäre des Stückes für aufrichtige Wahrnehmungen […]. Fiordiligis Rondoarie ist in der Dominanttonart zur Arie Ferrandos notiert. Für Mozart war sie unmittelbare Folge seiner poetischen Geständnisse. Dies zeigt, wie vielschichtig und verästelt jene erotischen Beziehungen sind, die in der Handlung rein zufällig, im musikalischen Kontext jedoch folgerichtig Fiordiligi an die Seite Ferrandos und Dorabella zu Guglielmo stellen. Lorenzo da Ponte sparte sich für Guglielmo einen besonderen dramaturgischen Einfall auf. Lange Zeit sind Ferrando und Guglielmo Partner einer Wette, die sie gemeinsam gewinnen wollen. Ihre Koalition, die Don Alfonso von Anfang an beargwöhnt, bricht erst auseinander, als Guglielmo Dorabella verführt. Doch der muss wenig später erfahren, dass seinem Freund dasselbe bei Fiordiligi gelang. Guglielmo, der glaubte, zweifacher Sieger zu sein, hat auf der ganzen Linie verloren. Die Wut darüber sitzt so tief, dass er im zweiten Finale im Kanon „E nel tuo, nel mio bicchiero“ („Und in deinem, und in meinem Glas“), mit dem die neuen Paare ihren Bund außerhalb von Zeit und Raum besiegeln, 20

zornig und wütend die Utopie zersingt, eine tiefe Stimme, die sich wie ein störendes Bassinstrument in das allgemeine Glücksgefühl drängt. Gerade dem leichtlebigsten Charakter unter den Liebenden fällt es am schwersten, eine vor kurzem noch für unvorstellbar gehaltene Verirrung der Gefühle zu akzeptieren. Im visionärsten Augenblick, in dem drei Menschen selbstverloren in der Tonart As-Dur singen, die, harmonisch gesehen, am weitesten von der Ausgangstonart C-Dur entfernt liegt, bleibt durch Guglielmos Widerrede der Bezug zur Wirklichkeit unvermindert gewahrt. Im Spiel ist diese Sicht konsequent, außerhalb des Spieles bezeugt sie eine ironische Haltung, mit der Mozart jene differenzierten Charaktere entwarf, die heutigen Betrachtern als komplexe, wahre Menschenbilder erscheinen, wohlgemerkt nicht aus Einfühlungsgabe entstanden, sondern durch kritische Distanz des Komponisten gegenüber dem zu schildernden Objekt Mensch. In utopischen Augenblicken, in denen Menschen die Erfüllung ihrer Sehnsüchte und Träume endlich verwirklicht glauben, bricht in Mozarts Musik die grausame Erkenntnis einer Sinnestäuschung durch, klafft unter dem musikalisch gespannten Bogen der Erlösung die Leere und Öde menschlicher Existenz auf. […] VON DER ZWANGSLAGE DER HERZZEN Keine der Opern da Pontes und Mozarts entstand so unvermittelt und war von solch intuitivem Einverständnis der Autoren geprägt wie Così fan tutte. Es gibt keine genaue Überlieferung, keinen Werkstattbericht da Pontes oder Mozarts, der verdeutlichte, worauf der Stoff beruht, warum er aufgegriffen wurde, wer den Auftrag dazu gab oder nicht. […] Kaum etwas drang zu Mozarts Zeit über die Hintergründe dieses Werkes an die Öffentlichkeit, obwohl die Kontroverse über Sitten und Unsitten der Gesellschaft des ancien régime eine entscheidende Grundlage für eine Komödie wie Così fan tutte bildete, daher sogar eine engere Verbindung zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und künstlerischem Entwurf bestand als etwa beim vorangegangenen Don Giovanni. Die faszinierende Struktur des Werkes erklärt sich vor allem aus dem Verwandlungsmechanismus der opera buffa sowie viel schichtigen literarischen und dramatischen Bezügen zu Werken aus da Pontes und Mozarts Zeit. In Così fan tutte spiegeln sich zahllose Galanterien und aufs Theater gebrachte Gefühlsexperimente der Zeit. Deren Bühne war der adlige Salon, den man sich aus Langeweile und Reizüberflutung zur geschlossenen Welt erotischer Sehnsüchte umgestaltete. Entsprechungen der Handlung von Così fan tutte zur Gegenwart müssen dem Publikum der damaligen Zeit so selbstverständlich erschienen sein, dass Assoziationen, die heute Aufschluss über die Ent- 21

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