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Programmheft Die Hochzeit des Figaro 2017

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ELISABETH BRONFEN

ELISABETH BRONFEN NÄCHTLICHE LIEBESSPIELE Um den lüsternen Grafen zu einem geheimen Stelldichein im nächtlichen Garten vor dem Schloss zu lotsen, diktiert seine verschmähte Gattin ihrer skeptischen Zofe das lyrische Klischee einer romantischen Nachtszene. Im Brief, den sie dem Graf verstohlen zustecken soll, schreibt Susanna einzig den Satz, »welch sanfter Abendwind wird an diesem Abend wehen, unter den Pinien des Wäldchens«, den Rest »versteht er schon« (III.10). Tatsächlich fällt der Graf auf die Falle herein und lässt seinerseits für diesen Abend das Nötige zur Hochzeit mit großem Pomp bestellen. Er will ein großartiges Fest, mit Musik, Feuerwerk, reichem Essen und großem Tanz, um nach außen als gönnerhafter Herrscher zu erscheinen; aber auch, um insgeheim seinen Sieg über die verführerische Dienerin zu feiern. So betreten im letzten Akt von Figaros Hochzeit (Le Nozze di Figaro, 1786) alle, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, den nächtlichen Garten wie eine Bühne innerer Leidenschaften. Die Gräfin braucht den Schutz der Nacht, damit sie als Susanna verkleidet den grausamen Gatten zurückerobern kann, der sie zuerst in »einer unerhörten Verwirrung« von Untreue, Eifersucht und Verachtung liebte, dann beleidigt und betrogen hat. Von nostalgischer Sehnsucht ergriffen, hält sie beständig an dem in ihrer Erinnerung aufbewahrten Bild vergangener Augenblicke der Wonne und der Freude fest und hofft mit ihrer nächtlichen Täuschung seiner Sinne sein undankbares Herz zu wenden. Der Graf hingegen braucht das Dämmerlicht, um das ius primae noc tis klandestin einzufordern, auf das er im Licht der Öffentlichkeit groß zügig verzichtet hat. Der Bräutigam Figaro, der erstaunlich schnell bereit ist, seine Susanna zu verdächtigen, benötigt seinerseits die nächtliche Finsternis, um im dunklen Mantel des Verschwörers gekleidet das vermeintliche Liebespaar heimlich zu belauschen und den vermuteten Betrug seiner Braut aufzudecken. Um ihrem Bräutigam den Lohn seiner Eifersucht zu entbieten, lässt Susanna ihrerseits mit ihrer Arie eine Nachtszene als klangliches Gebilde entstehen. Als Gräfin verkleidet und mit verstellter Stimme singt sie davon, dass die Nacht ihre Heimlichkeit schützen wird, tut dies aber insgeheim, damit der Graf, den sie nur vortäuscht zu erwarten, als Hirngespinst Figaros enttarnt werden kann. Eher durch Zufall gerät hingegen der in Ungnade gefallene Cherubino an die- 10

sen nächtlichen Schauplatz. Wie Shakespeares Robin eine Verkörperung der reinen Lust an Verwirrungen, genießt er dort die unerwartete Gelegenheit, die sich ihm durch das Schattenspiel des getrübten Lichtes bietet. Da Ponte bedient sich bewusst jener wirksamen Komödientradition, die eine nächtliche Heterotopie als Kommentar zu den Geschehnissen des Tages einsetzt, damit an diesem anderen Schauplatz Verstellungen ausgelebt und, einmal ausgekostet, entweder abgelegt oder in die Ordnung des Alltags überführt werden können. Im letzten Akt von Figaros Hochzeit stehen die Liebenden füreinander ein, wechseln mit ihren Verkleidungen auch ihre soziale Stellung, um den Intrigen und Irreführungen konkrete Gestalt zu verleihen, die bereits am Vortag eingefädelt worden waren. Nicht nur fanden dort alle Handlungen unter dem Vorzeichen dieser Hochzeitsnacht bzw. der Frage statt, ob der Graf seine illegitime Forderung durchsetzen, oder diese noch rechtzeitig vereitelt werden könnte. Am Vortag waren auch jene Gefühlsregungen zum Vorschein getreten, die notwendigerweise in ein nächtliches Ausleben münden müssen, weil sie eine auf Vernunft und gesetzmäßige Verträge basierende Tagesordnung stören: Die Eifersucht, die sowohl den Grafen wie auch Figaro einem blinden Verdacht gegenüber ihren Frauen verfallen lässt des Grafen Beharren auf einem anarchischen ius primae noctis, die dem politischen Geist der Aufklärung zuwiderläuft; die List der Frauen, die sich mit dem Kleidertausch auch am Vertauschen der Geschlechterrollen erfreuen; und schließlich das polyerotische Begehren des Pagen, das die klaren Hierarchien des Hofes in Unordnung bringt. Diese von allen ersehnte Nacht erweist sich vornehmlich deshalb als Gegenstück zum Tag, als gerade im Schutz der Dunkelheit eine Erhellung dessen möglich wird, was sich am Tag als undurchschaubare Verwicklung darbot. Für das verwirrende Spiel der Verstellungen, die bei hellem Sonnenschein eingeführt und im Dunkel des vierten Aktes ihren Höhepunkt finden werden, bietet Cherubino den Verdichtungspunkt. Der Page hat nicht nur unbeschränkten Zugang zu den Zimmern der Frauen, sondern wird von Susanna gerne mal unter ihrem Rock versteckt, mal von ihr in Frauenkleider gesteckt. Da er seinem Herrn immer voraus ist, wird er zudem Zeuge dessen klandestiner Anträge und teilt mit ihm auch dessen verbotenes Wissen. Indem er jene Allgegenwart für sich in Anspruch nimmt, die eigentlich dem Grafen gehört, unterläuft er erfolgreich dessen Souveränität. Seine ungezügelte Anbetung der Gräfin spiegelt nicht nur jenes verbotene Begehren für eine bereits vergebene Frau, das sein Herr für Susanna hegt. Indem es die Gräfin auch zum Objekt ELISABETH BRONFEN 11

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