16 » Wie die Oper Hoffmanns Erzählungen mehr und mehr ihre autorisierte Authentizität gegen Ende verliert, verliert in meiner Inszenierung Hoffmann selbst seine Identität und Integrität. Wir versuchen deswegen gar nicht, eine neue, dritte Erzählung gemäß ihren eigenen dramatischen Gesetzen zu etablieren, wie es in Jules Barbiers Libretto der Fall ist. Giulietta ist eine reine Chimäre, die von der Muse, Olympia und Antonia dargestellt wird. Kein Schlémil, kein Pitichinaccio, kein Weg zurück in Luthers Weinstube – stattdessen eine labyrinthische Vermischung aller vorigen Charaktere und Unheimlichkeiten, die zu Hoffmanns „Tod in Venedig“ führen. So bekommt die Barcarolle ihre eigentliche und ursprüngliche Bedeutung aus Offenbachs Rheinnixen zurück, als Fahrt über den Styx, zwischen den Ufern von Eros und Thanatos, von Kunst und Wirklichkeit. «
NOTIZEN VON STEFAN HERHEIM » Ich habe einen neuen Ablauf für den Giulietta-Akt entwickelt, der sich auf Hoffmanns Verlust von Orientierung und Kontrolle konzentriert, sich aber auch über die Geschichte legt, die Hoffmann erzählt. Das führt nicht nur in eine epische Deformation, sondern auch in die Entfremdung von Offenbachs Intention. Das Stück wird zunehmend zu einer Art Travestie der Grand-opéra, die musikalisch in der unpassenden „Spiegelarie“ und dem irgendwie perversen, hybriden Septett kulminiert – Stücke, die eben nicht von Offenbach stammen. Mein Venedig ist eine dramatische Grauzone, in der die Wirklichkeit der Erzählungen mit der Wirklichkeit der Rahmenhandlung verschwimmt und die Wirklichkeit der Oper die Kunst verletzt, die sie unterläuft. Diese spiegelartige Täuschung ersetzt Hoffmanns betrunkene Wahrnehmung von Stella im fünften Akt und macht die Rückkehr in Luthers Weinstube überflüssig. « 17
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