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Programmheft To The Lighthouse 2017

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Werkstattbühne To the Lighthouse von Zesses Seglias Kammeroper in drei Teilen Libretto von Ernst Marianne Binder nach Virginia Woolf In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln Uraufführung Premiere: 16. August 2017 - 20.00 Uhr Dauer: 1 ½ Stunden (ohne Pause)

»Wer wollte ihn tadeln,

»Wer wollte ihn tadeln, wenn er, einen Augenblick so dastehend, in Gedanken bei seinem Ruhm verweilte?«, hat Mr Ramsay sich im ersten Teil gefragt. »Sogar einem sterbenden Helden war es erlaubt, sich angesichts des Todes zu fragen, was die Menschen dereinst von ihm halten würden. Sein Ruhm mochte an die zweitausend Jahre dauern. Doch was waren zweitausend Jahre? Diese Steine da, an die man mit der Fußspitze stieß, würden Shakespeare überdauern.« Einen Moment lang scheint es, als seien diese Zweifel Mr Ramsays verschwunden und Übereinstimmung mit der Welt und seinem Sohn hergestellt. Lily, die nach dem Tod von Mrs Ramsay an ihrem Bild nicht weitermalen konnte, wird das Gemälde in dem Augenblick fertigstellen, in dem Vater und Sohn an Land gehen und die von ihr zu Hilfe gerufene Mrs Ramsay als Phantom erscheint. »Sie blickte auf die Stufen«, heißt es im Roman, »sie waren leer. Sie blickte auf ihre Leinwand; sie war verschwommen. Mit plötzlicher Zielstrebigkeit, als sehe sie Mrs Ramsay einen Augenblick lang deutlich vor sich, zog sie, da, in der Mitte, einen Strich. Es war vollbracht; es war vollendet. Ja, dachte sie, als sie in äußerster Erschöpfung den Pinsel niederlegte, ich habe sie gehabt, meine Vision.« Tagebucheintragung Dienstag, 23. Februar 1926: »Ich werde wie eine alte Fahne von meinem Roman hin- und hergeweht. [...] Ich schreibe jetzt so schnell & leicht, wie ich nur je in meinem Leben geschrieben habe. [...] Ich denke, das ist der Beweis, dass ich auf dem richtigen Weg bin; & dass ich das, was meine Seele an Früchten enthält, auch zu fassen bekomme. Komischerweise erfinde ich jetzt Theorien, dass Fruchtbarkeit und Flüssigkeit das Wesentliche sind: früher habe ich für eine Art konzentrierter, gespannter Aufmerksamkeit plädiert.« Nur der Schluss bereitet Schwierigkeiten. Am Sonntag, dem 5. September 1926, notiert sie: »Im Augenblick bin ich auf der Suche nach einem Ende. Das Problem ist, wie Lily & Mr R[amsay] zusammenzubringen sind, um am Schluss ein verbindendes Interesse herzustellen.« Dabei käme es darauf an, nicht die »Intensität des Augenblicks« zu verlieren. Fünfzehn Jahre später, am Morgen des 28. März 1941 – einem Freitag – einem strahlenden, klaren, kalten Tag – ging Virginia, wie immer, in ihr Gartenhaus. Dort schrieb sie zwei Briefe: einen für Leonard und einen für Vanessa, ihre Schwester: die beiden Menschen, 16

die sie am meisten liebte. In beiden Briefen erklärte sie, sie höre Stimmen; sie glaube nicht mehr daran, je wieder gesund zu werden, und sie könne nicht mehr so weitermachen. »Liebster«, schrieb sie in dem Brief an Leonard, »ich spüre genau, dass ich wieder wahnsinnig werde. Ich glaube, dass wir eine solche schreckliche Zeit nicht noch einmal durchmachen können. Und diesmal werde ich nicht wieder gesund werden. Ich höre Stimmen, und ich kann mich nicht konzentrieren. Darum tue ich, was mir in dieser Situation das Beste scheint. [...] Was ich sagen möchte, ist, dass ich alles Glück meines Lebens Dir verdanke. [...] Hätte mich jemand retten können, wärst Du es gewesen. Alles, außer der Gewissheit Deiner Güte, hat mich verlassen. Ich kann Dein Leben nicht länger ruinieren. Ich glaube nicht, dass zwei Menschen glücklicher hätten sein können, als wir gewesen sind. V.« Sie stellte den Brief im Wohnzimmer auf den Kaminsims; dann nahm sie ihren Stock, schlüpfte gegen halb zwölf aus dem Haus und ging über die Wiesen zum Fluss. Leonard vermutet, dass sie vielleicht schon einmal den Versuch gemacht hatte, sich zu ertränken; falls dies zutraf, hatte sie aus dem Misslingen gelernt. Sie legte ihren Stock ans Ufer und zwängte einen großen Stein in ihre Manteltasche. Dann ging sie in den Tod – »die einzige Erfahrung«, wie sie einmal einer Freundin gesagt hatte, »die ich nicht beschreiben werde.« ERNST BINDER Ernst Binder 17

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