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Programmheft Turandot 2015

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Spiel auf dem See 2015 Turandot von Giacomo Puccini Premiere: 22. Juli 2015 - 21.15 Uhr Lyrisches Drama in drei Akten und fünf Bildern, In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach dem Schauspiel von Carlo Gozzi

Auf geheimnisvolle Weise

Auf geheimnisvolle Weise verbinden sich für Marelli die Suche des Komponisten nach einem zufrieden stellenden Schluss der Oper mit Calafs beharrendem Versuch, Turandot zu verstehen und ihr die unbekannte Gefühlswelt der Liebe zu eröffnen. „Mich selbst berührt diese unheimliche Spannung zwischen der biografischen Realität von Puccinis Leben und dem inneren Gehalt des Werkes, das Geheimnis dieser Frau und der Liebe zu ergründen, immer wieder aufs Neue, deshalb ist die Doppelgestalt Calaf-Puccini entstanden.“ Im vorderen Teil seines Bühnenbilds hat Marelli deshalb seiner männlichen Hauptfigur ein „Zimmer“ gebaut, wo sich die Figur Calaf mit seinem Schöpfer überlagert. Dieser musste die letzten Wochen seines Lebens in einer Brüsseler Klinik verbringen, wo er sich mehreren Behandlungen und einer Operation am Kehlkopf unterziehen musste. Trotz der schweren Krankheit hatte Puccini seine Skizzen für das Turandot- Finale in die Klinik mitgenommen, um daran weiterzuarbeiten. Sein fiebriger Zustand verbindet sich für den Regisseur mit Calafs Zustand am Beginn des dritten Akts, den Puccini in der Partitur mit diesen Worten beschrieben hat: „wie wenn er nicht mehr in der Realität leben würde“. Aus der Ferne hört Calaf die Rufe der Herolde, die Turandots Verbot des Schlafens verkünden. Puccini war durch tagelange Untersuchungen in Brüssel extrem geschwächt, er durfte nur durch ein Röhrchen atmen. Wie Calaf kannte auch Puccini den Ausgang seiner Situation nicht, wie er in einem Brief erklärte: „Ich bin skeptisch und rechne mit allem.“ Diese körperliche Unsicherheit verband sich mit der künstlerischen, die unvollendete Oper nagte an ihm. Seinem Librettisten Adami schrieb er aus der Klinik diese lakonischen Zeilen: „Lieber Adamino, hier bin ich! Ich Armer! Sechs Wochen soll ich hier bleiben. Wer hätte das gedacht! Und Turandot?“ Am Beginn von Marellis Inszenierung ist dieser von Puccini inspirierte Calaf in seinem blauen „Zimmer“ zu sehen, mit einer Spieldose in der Hand. Für den Komponisten war eine solche Spieldose eine wichtige Anregung für seine Oper. Der Baron Edoardo Fassini Camossi hatte sie aus Peking mitgebracht, wo er an der italienischen Botschaft gearbeitet hatte. Dieser Spieldose horchte Puccini drei Melodien für Turandot ab, darunter die martialische Kaiserhymne. Puccini war von dieser Spieldose so begeistert, dass er seine beiden Librettisten zu Fassinis Villa brachte, um auch ihnen die Melodien vorzuführen. „Überraschung unsererseits, Gelächter und freudige Genugtuung bei Giacomo“, erinnerte sich Adami später an diese Begebenheit. Die erste der drei chinesischen Melodien erklingt in einem zarten Moment im ersten Akt, nachdem die sensationslüsterne Masse den Henker und den Aufgang des Mondes herbeigesehnt hat. Aus der Ferne sind Knabenstimmen zu hören, die vergeblich an die Gnade der Prinzessin appellieren. Auch den drei komischen Figuren »wie wenn er nicht mehr in der Realität leben würde« LEBEN DURCH DIE LIEBE 26

gab Puccini eine chinesische Melodie, die er aber zahlreichen rhythmischen Veränderungen unterwarf. Puccinis Oper ist eben keine chinesische Musik, sie benutzt lediglich ein paar ihrer Elemente. Doch was chinesisch anmutet an dieser Musik, ist meistens Puccinis Vorstellung von fremdartigen Klängen. Dazu gehören das Xylophon des Mandarins am Beginn der Oper genauso wie die instrumentalen Farben von Glockenspiel, Xylophon und Celesta in der großen Szene von Ping, Pang und Pong im zweiten Akt. Puccini nannte diese drei Minister nur „Masken“, da Carlo Gozzi sie den Typen der Commedia dell’arte entlehnt hatte. Gerade mit diesen Figuren wollte der Komponist etwas Besonderes ausdrücken, wie er Adami schrieb: „Klug eingesetzt, könnte es sein, dass die Masken auch ein heimisches Element in die Sache hineinbringen und dem ganzen chinesischen Manierismus etwas Lebenswahres entgegenstellen.“ Als „lebenswahr“ hätte Puccini seine beiden Hauptfiguren nicht bezeichnet. Sowohl Turandot in ihrem kalten Panzer als auch Calaf in seiner besessenen Liebe sah er „sozusagen außerhalb dieser Welt stehen“, wie er in einem Brief zwei Monate vor seinem Tod äußerte. Auch musikalisch überschreiten die beiden sämtliche Grenzen, ihr großes Duett in der Rätselszene wird zu einem „expressiven Kräftemessen“ (Marelli). „Drei sind die Rätsel, eines ist der Tod!“, singt Turandot. Calaf greift Turandots Melodie auf, setzt sie eine kleine Terz nach oben und wendet sie ins Positive: „Drei sind die Rätsel, eines ist das Leben!“ Michael Horst beschreibt in seinem kürzlich erschienenen Opernführer zu Turandot anhand dieser Stelle, wie Puccini Takt für Takt die Spannung erhöht: „Er krönt diesen faszinierenden Moment, indem beide Widersacher Aug‘ in Aug‘ gemeinsam die Phrase wiederholen – und dabei auf dem magischen hohen C ihre ganze vokale Potenz zur Schau stellen. Das ist ein bisschen marktschreierisch, und dennoch kann man sich als Zuhörer der Faszination dieses Höhepunktes kaum entziehen.“ Kaum hat der unbekannte Prinz die Rätsel gelöst und Turandot ihren Vater angefleht, sich nicht in dessen Arme werfen zu müssen, stellt Calaf ihr selbst ein Rätsel – zu einer bisher unbekannten, zarten Melodie. Seine berühmte Arie „Nessun dorma“ klingt hier schon an und Calaf macht deutlich, dass er nichts Geringeres als Turandots wahre Liebe begehrt. Die Wandlung der Prinzessin zur aufrecht liebenden Frau konnte Puccini nicht mehr komponieren. Seine Vorstellung vom abschließenden Liebesduett aber formulierte er im schon zitierten Brief zwei Monate vor seinem Tod: „Es muss ein großes Duett sein. Diese beiden Wesen, die sozusagen außerhalb dieser Welt stehen, kehren durch die Liebe unter die Menschen zurück, und diese Liebe muss […] von allen Personen auf der Bühne Besitz ergreifen.“ Der Nachwelt hatte Puccini damit eine beinahe unlösbare Aufgabe hinterlassen. Auf insgesamt 36 Seiten hatte er das Finale von Turandot skizziert. Der Dirigent Arturo Toscanini beauftragte gemeinsam mit Puccinis Sohn Tonio und dem Verlag Ricordi den Komponisten Franco Alfano, aus Puccinis Skizzen die Oper zu vervollständigen. Alfanos Ende befriedigte Toscaninis Vorstellungen nicht, er wies den Komponisten an, es um ein gutes Viertel zu kürzen. Bei der Bregenzer Aufführung wird Alfanos Finale in der gekürzten Fassung gespielt, allerdings mit einer Einfügung aus der ersten Version, wo nach Calafs Kuss das Orchester Turandot etwas mehr Zeit gibt, diese emotionale Erschütterung zu verarbeiten. In dieser ersten Fassung spricht sie noch von einem Schauder, den sie spürt. Mit dem Ausruf „Lass mich!“ weist sie Calaf von sich, doch singt im selben Takt ein „No!…“. Ihr Zögern mündet schließlich in die Arme des unbekannten Prinzen. Nun habe sie dessen Namen gefunden, sagt Turandot zu ihrem Vater: „Sein Name ist … Liebe!“ So gewaltsam Turandot die Männer zuvor von sich fern gehalten hat, so leidenschaftlich liebt sie nun. Turandot geht nicht mehr an ihrer Liebe zugrunde, wie so viele Frauenfiguren vor ihr in Puccinis Oeuvre. Ihre Liebe wird von allen bejubelt und gefeiert. Als große Primadonna in der Operngeschichte folgt ihr keine Figur nach. „Turandot sollte die allerletzte sein, gewaltiger, heroischer und größer als alle anderen“, erklärt Marco Arturo Marelli. Nicht zuletzt deshalb ist Puccinis letzte Oper bis heute „einzigartig“. Olaf A. Schmitt 27 TURANDOT

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