Als Zivilbeamter vertritt er das Gesetz. In der chinesischen Staatsverwaltung ist ein Mandarin ein Gelehrter, Richter oder Beamter, der sein Amt erst nach aufwändigen Prüfungen ausüben darf. Die Worte des Mandarins eröffnen die Oper. Das von ihm verkündete Gesetz führt wie der einstürzende Beginn der Musik mitten ins Geschehen. Ein Xylophon kündigt den Mandarin zwischen den pochenden Orchesterschlägen an. Dem Volk von Peking verkündet er folgendes Gesetz: „Turandot die Reine wird die Braut dessen, von königlichem Blut, der die drei Rätsel löst, die sie aufgibt. Doch wer die Probe unternimmt und sie nicht besteht, dem Beil bietet er sein stolzes Haupt.“ Das anwesende Volk kennt das Gesetz längst, es erwartet das grausame Ende des nächsten gescheiterten Bewerbers um die chinesische Prinzessin. Nüchtern fährt der Mandarin daher sogleich fort: „Der Prinz von Persien, nicht geneigt war ihm das Glück. Beim Mondesaufgang stirbt er durch die Hand des Henkers!“ Damit hat der Mandarin Turandots Ritual wieder einmal eröffnet, kurze Zeit später wird der persische Prinz hingerichtet. Im zweiten Akt wiederholt er das Gesetz, diesmal als Auftakt zur nächsten Rätselrunde. Erneut führen seine Worte mitten ins Geschehen, denn nun ist zum ersten Mal in der Oper Turandot zu hören. Sie fügt seinen Worten ihre psychologische Erklärung hinzu, die sie zu diesem Gesetz veranlasst hat: Ihre misshandelte Vorfahrin Lou-Ling wird in ihr und durch ihre Reinheit zu neuem Leben erweckt. Ein Mandarin FIGURINEN 38
Er war der 27. Mann, der sich Turandots Rätseln gestellt hat und sie nicht lösen konnte. Das sensationsgierige Volk fordert nur so lange seinen Tod, bis es den persischen Prinzen leibhaftig erblickt. „Wie süß ist sein Anblick!“, gestehen Frauen und Männer gleichermaßen. „Wie fest ist sein Schritt!“ Entzückt nehmen sie die Freude in seinen Augen wahr und bitten um Erbarmen für den schönen Jüngling. Auch Calaf, der unbekannte Prinz, der gerade seinen Vater wiedergefunden hat, bittet um Gnade. Und mehr noch: Die „Grausame“ will er „sehen und verfluchen“. Kaum aber erblickt er Turandot, wird er von ihrer Erscheinung gebannt wie zuvor die Menge vom persischen Prinzen. Auf Turandots stumme Geste wird der Gescheiterte abgeführt, die Priester beten noch für seine Seele. Dann ist der persische Prinz nur noch einmal zu hören. „Wie um sie noch ein letztes Mal flehentlich anzurufen“, ruft er auf hohem Ton Turandots Namen aus. Der entsetzten Menge entfährt ein schriller Aufschrei – erneut musste ein Bewerber mit dem Tod bezahlen. Es wird der letzte gewesen sein. Der persische Prinz 39 CONSTANCE HOFFMAN
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