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Programmheft Turandot 2016

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Spiel auf dem See Turandot von Giacomo Puccini Premiere: 21. Juli 2016 - 21.15 Uhr Lyrisches Drama in drei Akten und fünf Bildern (1926) Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni Schlussduett und Finale vervollständigt von Franco Alfano In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Butterfly verdankte.

Butterfly verdankte. Zwei Jahre später verließ ihn der Tenor Enrico Caruso, der sämtliche Hauptrollen in seinen Opern gesungen hatte und bis heute einen legendären Ruf genießt. Bei einem Besuch in London im Jahr 1919 setzte Puccini seine Suche nach einem neuen Opernstoff fort. Er sah zahlreiche Aufführungen im Theater, aber nichts wollte seinen mit den Jahren gesteigerten Ansprüchen genügen. Dann traf er in Bagni di Lucca den Kritiker und Schriftsteller Renato Simoni wieder, den er wahrscheinlich 1904 kennengelernt hatte. Dieser außerordentlich belesene Autor schrieb viele Jahre für die Mailänder Zeitung Corriere della Serra und machte sich als Theaterautor und Librettist einen Namen. Die beiden sprachen über mögliche Stoffe für eine Oper. Angeblich eine Stunde, bevor Puccini in den Zug nach Viareggio stieg, wo er ein Haus bauen ließ, brachte Simoni einen weiteren Vorschlag auf den Tisch: „Wie wäre es, wenn wir uns an Carlo Gozzi hielten?“ Puccini hatte von Max Reinhardts Inszenierung von Carlo Gozzis Theaterstück Turandot in Berlin gehört oder sie vielleicht sogar selbst gesehen. Endlich faszinierte ihn ein Stoff, den er gemeinsam mit den Librettisten Renato Simoni und Giuseppe Adami umsetzen wollte. Zeitgenössisch sollte diese Umsetzung sein, wie Puccini im März 1920 an Simoni schrieb: „Eine Turandot aus der Sicht heutiger Menschen, aus deiner, der von Adami und mir.“ Die „heutige“ Sicht bedeutete für Puccini vor allem auch, eine Musik zu komponieren, die ihn selbst herausforderte. Er wollte „unbeschrittene Wege gehen“ und ein „vielleicht einzigartiges Werk“ schaffen. Puccini war sich bewusst, dass seine bisherige Klangsprache zwar das Publikum berührte, aber viele seiner Kollegen mittlerweile die Musikwelt revolutioniert hatten. Bitonale Klänge und unaufgelöste Akkorde durchzogen nun die Partituren. In Frankreich ließen sich Maurice Ravel und Claude Debussy von asiatischen Elementen inspirieren. Ebenfalls in Paris hatte der russische Komponist Igor Strawinsky 1913 mit seinem Ballett Le sacre du printemps einen der bis heute größten Theaterskandale produziert und den Rhythmus im Vergleich zur Melodie als vorherrschendes Prinzip der Musik betont. In Wien schließlich wurde mit Arnold Schönbergs Zwölftontechnik der jahrhundertelang gültigen Dur-Moll- Tonalität der Garaus gemacht. All diese Entwicklungen verfolgte Puccini mit großem Interesse und ließ sie in die Turandot- Partitur einfließen. Gegenüber manch sperrig wirkendem Werk seiner Kollegen verband Puccini jedoch die neuen Klangwelten mit dem, was ihn als Opernkomponisten weltberühmt gemacht hatte: mitreißende und berührende Melodien, satte Orchestrierungen und opulente Massenszenen. In dieser Kombination hat Puccini tatsächlich ein „einzigartiges Werk“ geschaffen, zu dem allerdings auch gehört, dass er es nicht zu Ende bringen konnte und das wohl nicht nur, weil sein Kehlkopfkrebs in Brüssel nicht geheilt werden konnte. Seinen eigenen Anspruch, wie die Oper zu enden habe, konnte Puccini selbst nicht erfüllen. Liùs aufopferungsvoller Tod aus Liebe zu Calaf sollte die eiskalte Prinzessin Turandot so sehr rühren, dass sie sich in die Arme des unbekannten Prinzen wirft. Doch wie sollte diese Wandlung klingen? Puccini beklagte in einem Brief, dass er „in einem Meer von Unsicherheit“ schwimme. Die Arbeit an der Oper war ins Stocken geraten, so dass er im September 1922 schrieb: „Und Turandot? Wer erinnert sich überhaupt noch an sie? Seit Monaten und Monaten steckt sie an derselben Stelle fest, und ich habe keine Lust mehr zu arbeiten. Ich werde mir ein anderes Libretto vornehmen!“ Für diese entscheidende Stelle vor dem Finale der Oper mussten die Librettisten immer wieder neue Textentwürfe liefern, doch keiner stellte Puccini zufrieden. Marco Arturo Marelli fasst Puccinis Unsicherheit in folgende Worte: „Liù hat sich soeben auf offener Bühne umgebracht und Calaf, der prinzliche Held, stand dabei und erlebte, wie sich dieses Mädchen, Sympathieträgerin des Publikums, seinetwegen umbrachte. Er hat diese Selbsttötung nicht verhindert, ist somit auf eine Art schuldig geworden, und nun soll er Turandot die Liebe ‚beibringen‘ oder offenbaren. Auch Turandot, die ja den Befehl zur Folter gegeben und so ihren Tod evoziert hat, hat dies alles miterlebt. Kann, nach Timurs Fluch, das Glück der beiden und das finale Happyend auf dem mitleiderregenden Opfer der kleinen, aber menschlich ungemein anrührenden Sklavin aufgebaut werden? Dass dies ein sehr schwierig zu realisierender Vorgang ist, wurde dem Komponisten bewusst, und so dachte er sogar daran, die Verwandlung der Titelfigur einzig durch ein sinfonisches Zwischenspiel und ohne Worte zu schildern.“ 29 TURANDOT

Auf geheimnisvolle Weise verbinden sich für Marelli die Suche des Komponisten nach einem zufrieden stellenden Schluss der Oper mit Calafs beharrendem Versuch, Turandot zu verstehen und ihr die unbekannte Gefühlswelt der Liebe zu eröffnen. „Mich selbst berührt diese unheimliche Spannung zwischen der biografischen Realität von Puccinis Leben und dem inneren Gehalt des Werkes, das Geheimnis dieser Frau und der Liebe zu ergründen, immer wieder aufs Neue, deshalb ist die Doppelgestalt Calaf-Puccini entstanden.“ Im vorderen Teil seines Bühnenbilds hat Marelli deshalb seiner männlichen Hauptfigur ein „Zimmer“ gebaut, wo sich die Figur Calaf mit seinem Schöpfer überlagert. Dieser musste die letzten Wochen seines Lebens in einer Brüsseler Klinik verbringen, wo er sich mehreren Behandlungen und einer Operation am Kehlkopf unterziehen musste. Trotz der schweren Krankheit hatte Puccini seine Skizzen für das Turandot-Finale in die Klinik mitgenommen, um daran weiterzuarbeiten. Sein fiebriger Zustand verbindet sich für den Regisseur mit Calafs Zustand am Beginn des dritten Akts, den Puccini in der Partitur mit diesen Worten beschrieben hat: „wie wenn er nicht mehr in der Realität leben würde“. Aus der Ferne hört Calaf die Rufe der Herolde, die Turandots Verbot des Schlafens verkünden. Puccini war durch tagelange Untersuchungen in Brüssel extrem geschwächt, er durfte nur durch ein Röhrchen atmen. Wie Calaf kannte auch Puccini den Ausgang seiner Situation nicht, wie er in einem Brief erklärte: „Ich bin skeptisch und rechne mit allem.“ Diese körperliche Unsicherheit verband sich mit der künstlerischen, die unvollendete Oper nagte an ihm. Seinem Librettisten Adami schrieb er aus der Klinik diese lakonischen Zeilen: „Lieber Adamino, hier bin ich! Ich Armer! Sechs Wochen soll ich hier bleiben. Wer hätte das gedacht! Und Turandot?“ Am Beginn von Marellis Inszenierung ist dieser von Puccini inspirierte Calaf in seinem blauen „Zimmer“ zu sehen, mit einer Spieldose in der Hand. Für den Komponisten war eine solche Spieldose eine wichtige Anregung für seine Oper. Der Baron Edoardo Fassini Camossi hatte sie aus Peking mitgebracht, wo er an der italienischen Botschaft gearbeitet hatte. Dieser Spieldose horchte Puccini drei Melodien für Turandot ab, darunter die martialische Kaiserhymne. Puccini war von dieser Spieldose so begeistert, dass er seine beiden Librettisten zu Fassinis Villa brachte, um auch ihnen die Melodien vorzuführen. „Überraschung unsererseits, Gelächter und freudige Genugtuung bei Giacomo“, erinnerte sich Adami später an diese Begebenheit. Die erste der drei chinesischen Melodien erklingt in einem zarten Moment im ersten Akt, nachdem die sensationslüsterne Masse den Henker und den Aufgang des Mondes herbeigesehnt hat. Aus der Ferne sind Knabenstimmen zu hören, die vergeblich an die Gnade der Prinzessin appellieren. Auch den drei komischen Figuren gab Puccini eine chinesische Melodie, die er aber zahlreichen rhythmischen Veränderungen unterwarf. Puccinis Oper ist eben keine chinesische Musik, sie benutzt lediglich ein paar ihrer Elemente. Doch was chinesisch »wie wenn er nicht mehr in der Realität leben würde« LEBEN DURCH DIE LIEBE 30

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